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Vertige

Vertige

Ein Film von Abel Ferry

The Descent war und ist ja einer der besten modernen Horrorfilme, ein Hit jenseits des seichten Teeniegeschnetzels, das heutzutage in einem Schnellschuss nach dem anderen produziert wird. Das britische Horrorkino meldete sich mit diesem Werk von Neil Marshall mit einem Paukenschlag zurück und bekam jüngst eine Fortsetzung, welche auf dem FFF 2009 in der Sneak Preview zu begutachten war. „The Descent“ funktionierte vor allem aufgrund der minimalistischen Story: man schicke ein paar glaubwürdige (!) Charaktere, um die man sich tatsächlich sorgen kann, in ein klaustrophobisches aber realistisches Szenario, um sie dann um ihr Leben kämpfen zu lassen; dies würze man mit einer gesunden Portion Härte, bis zum Anschlag gedrehter Spannungsschraube und einem gewissen Interpretationsspielraum, und fertig ist ein fantastischer Horrorstreifen – so einfach kann es sein.

Dass auch die Franzosen das Genre beherrschen wie kaum ein anderes europäisches Land (das deutsche Genrekino kreucht ja sowieso nur um Liebeskomödien und Pseudo-Amateurwerke auf dem Horrorsektor, auch gerne als teutonischer Wald-und-Wiesen-Splatter bezeichnet), bewiesen sie nicht zuletzt mit High Tension sowie Inside, und produzieren zumindest weiterhin kontroverse Gülle (meiner Meinun
g nach) wie Martyrs. Nun stelle man sich folgendes Szenario vor: man nehme eine dicke Portion The Descent, vermische diese mit der Professionalität und Konsequenz der französischen Hardgore-Welle, mixe diese Mischung gut durch, und heraus kommt: VERTIGE. Ein superber, enorm spannender Horrorfilm, der das beste aus beiden Welten vereint. Ja, das stelle man sich vor. So schön könnte es sein, nur leider ist das Ergebnis dann doch reichlich überflüssiger Einheitsbrei, dessen zweite Hälfte man schon hundert mal woanders gesehen hat, und der den guten ersten Teil in den wortwörtlichen Abgrund des Vergessens reißt.

Fünf junge Franzosen unternehmen einen Klettertrip in den kroatischen Bergen: das klettererfahrene Pärchen Fred und Karine übernehmen die Führung, Chloé ist mit ihrem neuen Freund Loic dabei, der sich jedoch als höhenängstliches Weichei herausstellt, und als fünftes Rad am Wagen ist dann noch Guillaume mit von der Partie, der gleichzeitig Chloés Ex ist, und deutlich kerniger und männlicher als Loic aussieht. Überflüssig zu erwähnen, dass das wahre fünfte Rad am Wagen dann auch eben Loic ist, da er quasi der Neue, der Außenseiter ist, während sich der Rest der Clique schon lange kennt und diesen Trip als Abschied vor dem Einstieg ins Berufsleben plante. Beim Einstiegspunkt in die Kletterroute angekommen, stellt sich diese als geschlossen heraus; kein Hindernis, man wagt den Aufstieg nach kurzer Diskussion dann doch, in drei bis vier Stunden sollte man wieder am Ausgangspunkt sein. Nur haben die Jungs und Mädels nicht damit gerechnet, dass in den kroatischen Bergen jemand oder etwas unterwegs ist, der sicherlich nicht ganz unschuldig an der Sperrung der Route ist...

Es geht also im Gegensatz zum Eingangs erwähnten The Descent nicht IN den Berg, sondern AUF und ÜBER ihn hinweg. Trotz dem hellen Tageslicht, der prächtigen Landschaft und der wundervollen Fotografie kann „Vertige“ hier bereits enorm punkten: die Charaktere machen einigermaßen Sinn (auch wenn beispielsweise Chloés obligatorisches Trauma kaum ausgearbeitet scheint), die Aufnahmen sind atemberaubend, und die Kletterszenen sogar für mich als Laien erstens fantastisch und zweitens unglaublich spannend. Immer wieder treffen die Protagonisten auf Hindernisse verschiedenster Art, immer wieder finden sie sich in Gefahr wieder, und immer wieder fiebert mit der Zuschauer mit ihnen mit, da er genau weiß: der französische Horrorfilm macht keine Gefangenen, jeder hier kann abstürzen. Doch dann, ja dann, versucht der Film genau den gleichen Trick wie The Descent: die Kletterszenen werden abgelöst durch einen Kampf ums Überleben, nicht gegen die Naturgewalten sondern gegen eine konkretere Bedrohung. Und wo The Descent hier in astreines Terrorkino umschlägt, versandet Vertige hier leider in der Bedeutungslosigkeit, wird zum generic Backwoods-Kino und schafft es mühelos, den sehr guten Eindruck der ersten Hälfte vor die Wand zu fahren.

Warning: Spoilers ahead!

Es ist wirklich unverständlich und umso verwunderlicher, wie der Film so in die Binsen gehen konnte. Die Charaktere werden plötzlich undurchsichtig, die Spannung lässt auch nach, und zu allem Überfluss leidet der Kameramann unter Schüttelfrost, während er sich gleichzeitig eine dicke Portion Ecstasy einwirft, anders ist das fürchterliche Gewackel in den Actionszenen nicht zu erklären.

Fred behauptet auf einmal in einem Halbsatz, der völlig unaufgelöst bleibt, er habe davon gewusst, dass die Route gesperrt wäre. Das ist umso ärgerlicher, da diese Info wirklich rein gar nichts zum Film beiträgt, weder hat sie für den Charakter oder die Beziehung zu seinen Freunden Bedeutung, noch bringt sie die Handlung auch nur Milimeter voran. Dieser Satz wird nicht ein einziges Mal mehr aufgegriffen! Loic schließt dann irgendwann Guillaume in einer Falle ein, was ja an sich mit viel gutem Willen noch nachvollziehbar ist, warum er aber seine Freundin in den Fängen des Bösen zurücklässt, wird ebensowenig eroiert wie die Tatsache, dass die Frage offen bleibt, ob all die Schwierigkeiten beim Klettern Zufall oder Handwerk des Bösen waren. Einzig die Konsequenz des Streifens mag den Film noch einigermaßen retten können, denn diese wirkt nicht so erzwungen wie das obligatorische Twist-Ende mit dem wiederaufstehenden Bösewicht in unzähligen anderen Filmen. Hier bekommt eben auch das potentielle Final Girl überaus deftig ihren süßen Mund poliert, und wenn sich die Guten mit dem Bösen prügeln dürfen, dann wird es richtig schmutzig. Auch die Konflikte innerhalb der Gruppe mögen nicht abreißen, was seinen Höhepunkt in einer fiesen aber logischen Szene zwischen Guillaume und Loic findet.

Womit wir bei dem schon öfter angesprochenen Bösen und damit dem größten Kritikpunkt des Filmes wären: der ist nämlich kein Monster oder sonstwas, sondern ein völlig 08/15 Hinterwäldler aus dem Handbuch „Backwoods für Dummies“, der auf den Namen Anton hört. Von Beruf wohl Trapper haust Anton in einer doch recht großen Hütte und scheint sich hauptsächlich von Touristen zu ernähren. Ja ja, das wilde Kroatien, die schaffen es nicht einmal, ihre Kletterrouten instand bzw. killerfrei zu halten. Mehr erfahren wir über ihn dann auch nicht, auch bleiben weder sein Aussehen noch sein Modus Operandi in Erinnerung. Einfach generic, einfach schon tausendmal gesehen, einfach langweilig. Dementsprechend wenig mit der restlichen Laufzeit vermag dann Jungregisseur Ferry einzufallen, der der Sache keinerlei interessante Aspekte mehr abzugewinnen weiß, und am Ende in die real-crime Trickkiste greift und uns Texttafeln mit kurzen Infos ala „xy wurde nie gefunden“ und blabla anbietet, aber eher für erheiterndes Schmunzeln sorgt, da dieser true-story-arch vorher mit keinem Bruchstück auch nur angedeutet wurde.

Das war nichts.

Nach der ersten Hälfte lieber ausschalten und was gutes mit Hinterwäldlern in Europa anschauen. Backwoods zum Beispiel. Oder halt doch nochmal The Descent. Oder was französisches. Aber definitiv nicht die exzellente erste Hälfte von dem schnarchnasigen Rest verderben lassen.

Eine Rezension von David Kugler
(02. September 2009)
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Daten zum Film
Vertige Frankreich 2009
(Vertige)
Regie Abel Ferry Drehbuch Johanne Bernard, Louis-Paul Desanges
Produktion Sombrero Productions, Gaumont Kamera Nicolas Massart
Darsteller Justin Blanckaert, Nicolas Giraud, Raphaël Lenglet, Johan Libéreau, Fanny Valette, Maud Wyler
Länge ca. 90 Minuten FSK
http://vertige.gaumont.fr/
Filmmusik Jean-Pierre Taieb
Kommentare zu dieser Kritik
Micha Barbarez sagte am 02.09.2009 um 13:13 Uhr

Netter Vorschlag mit dem Ausschalten, aber das bringt doch keiner übers Herz, wenn die erste Hälfte gelungen ist, dann will ich auch sehen wie es ausgeht. Werde den mir mal ausleihen, sobald er auf DVD raus ist.

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