(USA, 1987)
„Worum ging es im Irak-Krieg? Um Menschenrechte? Könn' wir den Witz noch mal in Farbe hören?!“
(Volker Pispers, Kabarettist)
„It is the God-given right of the USA to dominate the western hemisphere. It is our duty to protect our neighbors from exploitation. It is the fate of the United States of America to go ahead.”
„Sieht man sich die Geschichte der Vereinigten Staaten an, ist es jedes mal das gleiche: Passt uns irgendwas in der Welt nicht, schicken wir Truppen hin. Der Öffentlichkeit sagen wir dann, es ginge um Freiheit oder andere allgemeine Werte. Denn wer kann schon gegen Freiheit sein?!” Das sagt Journalist Charles Lewis in Eugene Jareckis Dokumentation
Why We Fight – Die guten Kriege der USA (2005). Treffende Quintessenz.
Oder?
Als Alex Cox 1987
Walker drehte, ein offener Angriff auf das gute Amerika, das doch immer nur mit den besten Absichten in anderer Leute Länder einmarschiert, war die selbstkritische Phase des New Hollywood ganz lange vorbei. Ein Jahr zuvor hatte Ronald Reagan die Iran-Contra-Affäre am Hals. Seine Regierung hatte mit Geld aus geheimen Waffenlieferungen an den Iran die rechten Contra-Rebellen in Nicaragua unterstützt, die dort Krieg mit der linken Sandinista-Regieung führte (und das, obwohl man doch lustigerweise halboffiziell den Irak im Ersten Golfkrieg unterstützte –
damals mit Saddam Hussein als Regierungschef).
Cox´ Film portraitiert den amerikanischen Söldner und Arzt William Walker, der 1855 vom Industriellen Cornelius Vanderbilt (Peter Boyle) beauftragt wird, mit einer Söldnerarmee in Nicaragua einzumarschieren und dort die Macht zu übernehmen, damit Vanderbilt dort seine Eisenbahnstrecke bauen kann und auch sonst wirtschaftlich freie Hand hat („I want that country stable!“).
Walker ist Spezialist für Guerillakriege, resp. Befreiungskämpfe und im Gegensatz zu Vanderbildt kämpft er für die wahren, amerikanischen Ideale. Und das ist der Grund, warum er seinen Auftrag ernster nimmt als seine Auftraggeber. Seine Machtgier gipfelt irgendwann in Tyrannei. Anfangs noch beliebt, zieht er bald den Zorn der Bevölkerung und seiner Unterstützer auf sich. Am Ende wird ihm von einem honduranischen Erschießungskommando der Garaus gemacht.
Alex Cox galt als talentierter und origineller Filmemacher. Schaut man sich seine Filme heute an, kann man ihn fast einen Tarantino der Achtzigerjahre nennen - jedenfalls, was den Faible für knallige Geschichten und herbe Inszenierungen angeht.
Repo Men (1984) und
Sid & Nancy (1987) wurden gemocht, mit
Straight to Hell (1986) hatte man schon Probleme.
Walker war ein Affront, cineastisch und politisch, mit dem er alle Brücken zwischen sich und Hollywood abfackelte. Er musste sich einen Produzenten in Nicaragua suchen, und Ende des Jahres kam sein Film fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit in die Kinos.
Keiner hatte eine Chance – weder der Mann, noch der Film oder die Botschaft.
Ein 3-Minuten-Verriss in der Kinosendung
Siskel & Ebert machte deutlich, welche Probleme Cox´ wuchtige Historiensatire bereitete. Dabei zwischen Kritik am Kunstobjekt und seiner politischen Botschaft zu unterscheiden ist mitunter unmöglich. Beide beschrieben den Film als „unbelievable bad“. Ebert moniert die Tatsache, dass er hier Satire und Action nicht auseinander halten könne. Harris´ Darstellung sei unterirdisch, die beliebte Marlee Matlin, die noch ein Jahr vorher einen Oscar bekam, sterbe schon nach eine Viertelstunde, so ein Jammer auch, und so weiter und so fort.
Nun ist es fast normal, dass so manche Kunstwerke ihrer Zeit voraus waren und die Zeit nicht reif für sie war, aber zu späterem Zeitpunkt begnadigt, gar heilig gesprochen werden. Bei
Walker blieb die Absolution bis heute aus. Ein User der IMDB brachte es ganz wunderbar auf den Punkt: „A cult movie in search for an audience.“
Ein gewichtiger Grund dafür ist sicherlich die eigenwillige Machart.
Die Actionsequenzen, stilecht in Zeitlupe gedreht, sind eine Verbeugung vor dem großen Sam Peckinpah. Cox lässt sogar eine Reiterstaffel an seinem Grab vorbeisalutieren. (Beziehungsweise steht da „Sam Peckimpah" [sic!].)
Es gibt auch ein paar derbe, blutige Szenen, immerhin handelt der Film ja vom Krieg. Durchaus unappetitlich, aber sehr gering an der Zahl. FSK 18, auch heute noch? Ein Witz, denkt man dagegen an die
Lord of the Rings-Trilogie.
Dann gibt es da die Marotte, mitten in die Szenerie der 1850er Jahre immer wieder Anachronismen, Gegenstände aus der Jetztzeit zu platzieren: Cola-Dosen, Malboro-Schachteln, das
Time-Magazin. Am Ende soll Walker mit einem Hubschrauber evakuiert werden. Es soll uns daran erinnern, dass Geschichte immer was mit der Gegenwart zu tun hat. Das kann man als tölpeliges Zuschauererschlagen mit dem Zaunpfahl empfinden. Man könnte auch sagen: So extrem, dass es schon wieder interessant ist.
Auch Ed Harris trägt viel zu diesem Befremden bei. Sein Schauspiel ist weit entfernt davon, so etwas wie Ironie zu kommunizieren. Mit bitterernster Mine lässt er seine Figur durch die Handlung paradieren, mit allem feierlichen Ernst und galoppierendem Pathos. Schon in der Gegenwart ergriffen von sich selbst und der später einmal historischen Bedeutsamkeit seines Tuns. Selten legt er dieses Korsett ab für eine satirische Überhöhung. In einer Szene im Finale zum Beispiel, in der er einen verletzen Soldaten die Organe entnimmt, um sie zu essen, imitiert er für zwei Sekunden den irre grinsenden Psychopathenmörder á la Jack Nicholson.
Es muss für viele ein Schlag gewesen sein. Wie sehr mochte man Harris in Philip Kaufmans
The Right Stuff (
Der Stoff aus dem die Helden sind, 1982). Aber da ging es um die Anfänge der US-Raumfahrt, da ging es um Helden. In
Walker ist er ein wandelndes, marschierendes Mahnmal amerikanischer Doppelzüngigkeit. Ein Wortwechsel mit einem seiner Kollaborateure (Edward Tudor-Pole) verdeutlicht das sehr schön:
„I cannot help noticing Sir, during the time I´ve spend with you, you´ve betrayed every principle you´ve had, and all the men who supported you. May I ask why?”
“No you may not.”
“What exactly are your aims?”
“The ends justify the means.”
“What are the ends?”
“I can´t remember.”
Das Drehbuch von Rudy Wurlitzer ist voll mit solchen entlarvenden Dialogen, die ihre Botschaft ohne Umwege der Ironie oder Subtilität transportieren. Das war wohl, damals, der falsche Weg.
Siskel und Ebert verlieren kein Wort über Cox´ Kritik am amerikanischen Selbstverständnis. Dass sie den Film als Kunstwerk misslungen finden, ist dabei ihr gutes Recht. Wenn man jedoch hört, wie Siskel Walker in der Einleitung als „clever soldier of fortune“ bezeichnet, dann fragt man sich doch, ob hier wirklich nur ein Film, oder nicht eher seine politische Aussage in die Tonne getreten werden sollen.
Walker ist keine subtile Satire. Es ist eine offene, zornige Anklage mit den Mitteln der Satire. Ihr Protest wird mit fast jeder Szene laut in die Welt geschrieen. Cox´ Darstellungsmittel sind allesamt direkt, mitunter wüst überzeichnet. Aber genau das macht den Reiz aus – gerade heute.
Cox legt die Lunte genau dort, wo sich der amerikanische Patriotismus in seiner scheinheiligen Form zeigt. Dazu sind keine Gegenfiguren nötig, keine ‚Guten’, die gegen die ‚Bösen’ antreten. Vielmehr entlarven sich Gestalten wie Walker und Vanderbilt in fast jedem zweiten Satz selbst. Walker als puritanischer, bigotter Gotteskrieger, Vanderbilt als zynischer, respektloser Kapitalist („Kennen Sie Nicaragua? Ein kleines Scheißland irgendwo in Mittelamerika…“).
Was man dem Regisseur zum Vorwurf machen kann ist, eher frei mit Fakten der Geschichte umzugehen. Es verfälscht die politische Aussage nicht, aber es muss gesagt werden.
Zum Beispiel wurde Walker nie von Vanderbilt persönlich beauftragt, Nicaragua zu überfallen, Walker tat dies auf eigene Rechnung. (Als er erst mal die Kontrolle über das Land hatte, sahen die USA doch recht gerne eine Expansion ihrer Einflusssphäre.)
Diese Modulation der Historie kann man Cox immer wieder aufs Brot schmieren. Doch das ändert nichts daran, dass Walker ein zwielichtiger Protagonist des panamerikanischen Kolonialismus war und bleibt. Es ändert nichts daran, dass man diese historische Figur als Sinnbild für amerikanische Allmachtsphantasien inszenieren kann.
Der Soundtrack stammt von Joe Strummer von The Clash, der in Cox´
Straight to Hell (1986) mitspielte. Er verbrachte viel Zeit am Set, sog das musikalische Mittel- und Südamerika in sich auf und destillierte Flamenco, Salsa und Mariachi zu einem fiebrigen, manchmal melancholischen Begleitmarsch für das Leben und Sterben eines Mannes, der eine Randfigur der Weltgeschichte bleibt. Und doch für etwas viel Größeres, Gewichtigeres steht.
Walker war seiner Zeit nicht weit voraus, er ist überhaupt aus der Zeit gefallen. Heute noch steht er seltsam, einsam und schwer einordbar in der Filmgeschichte herum. Damals musste er vermutlich scheitern. Vielleicht schon wegen der Tagline des Filmplakates, eine der besten, die ich je gelesen habe:
„Before Rambo… Before Oliver North… There was Walker.”