Angefangen hat alles mit einer Fernsehreportage, die Ende der 70er in Italien über die TV-Geräte vieler Haushalte flimmerte. Viele Menschen waren von dem Inhalt der Dokumentation sehr bewegt, einige verschreckt und einen hat es ganz besonders erfasst und nicht los gelassen – es war der Sohn des damals noch mäßig bekannten aber dennoch in seinem Metier erfolgreichen Exploitation-Regisseur Ruggero Deodato. Die Dokumentation zeigte die grausamen Verbrechen einer kommunistischen Terrororganisation namens „Red Brigade“, die in Italien viele Menschenleben durch Bombenanschläge und Terrorakte auf dem Gewissen hatte. Was Deodato Junior dabei am meisten verstörte waren die sehr authentisch aussehenden Bilder der gewalttätigen Verbrechen der Terroristen. Was viele Zuschauer und auch Deodatos Sohn nicht wussten war, dass die meisten Szenen der Dokumentation inszeniert waren und durch geschickten Schnitt als Teil der Realität verkauft wurden. Ohne diese TV-Reportage und ohne Ruggeros Sohn, dessen Aufmerksamkeit ganz eingenommen war von den Greultaten der „Red Brigade“, wäre „Cannibal Holocaust“ oder „Nackt und Zerfleischt“, wie er in Deutschland vertrieben wurde, wohl gar nicht entstanden.
Um mal vorweg zu nehmen – dieser Film ist brutal, ja. Er geht stellenweise sehr weit über die Grenzen der menschlichen Verträglichkeit von Gewalt und zeigt diese in ungeschonter und äußerst realistischer Form. Dies nicht zuletzt weil sämtliche Tiere in d
em Film auch tatsächlich vor laufender Kamera hingerichtet wurden. Tatsächlich glaubten viele Menschen, die den Film sahen, einschließlich der italienischen Behörde, dass die Filmcrew, deren Verschwinden im Amazonas Wald die Hauptrahmenhandlung darstellt, aufgrund der gezeigten, eingehenden Filmausschnitten ebenfalls vor laufender Kamera graumsamst gelyncht worden war. Nicht zuletzt deswegen wurde der Film von der italienischen Behörde bei dessen Erscheinung unverzüglich konfisziert und Regisseur Deodato ins Gefängnis gebracht. Damals galt „Cannibal Holocaust“ als ein Snuff Film, unnötig brutal und exploitativ, ausschließlich aus Profitgründen produziert.
Dass diese Vorwürfe zumindest größtenteils unzutreffend sind, soll diese Rezension vorführen, die in Zusammenarbeit von
Eduard Beitinger (Einleitung, Ploterläuterung und Resümee) und
David Kugler (Hintergründe des Films, Wirkung des Films im Kontext des Kannibalengenres, sowie die Einflüsse und Rip-Offs von und auf andere Filme, Resümee) entstanden ist. Vielleicht gelingt es uns neue Einblicke in dieses komplexe und verstörende Werk hineinzubringen und dem Zuschauer die sehr wohl vorhandenen Qualitäten des Films offen zu legen – welche beispielhaft sich zeigen in einem komplex gestrickten Plot, einer vielschichtig ausgearbeiteten Story, in einer straffen und ambitionierten Inszenierung sowie in beeindruckenden, originellen und wegweisenden Kamerastilmittel und äußerst realistischen Effekten. Deodatos Film hat Akzente gesetzt und das Genre des Mockumentary wenn schon nicht erfunden (denn bereits Orson Welles hat mit „
The War of The Worlds“ in einer Radioübertragung von 1938 die Menschen glauben lassen, die Erde werde tatsächlich von Außeririschen angegriffen), dann zumindest konsequent weiterentwickelt und radikalisiert. Die Schauspieler, die in Deodatos Film bei einer Expedition in den Amazonas Regenwald verschwinden und deren grausamer Tod gefundene Filmrollen belegen, mussten auch vertraglich unterschreiben, dass sie nach dem Filmdreh ein Jahr lang sich der Medien fernhalten, um die Welt in der Illusion zu lassen, die Menschen wären tatsächlich vor laufender Kamera gestorben. Und eigentlich ist „Cannibal Holocaust“ ein Kannibalenfilm, so wie ihn der Regisseur auch als solchen sehen möchte, auch das darf nicht vergessen werden.
Inhalt:
Der Film beginnt mit leicht wackligen Handkameraaufnahmen vom amazonischen Regenwald, aufgenommen aus einem Flugzeug. Die schönen Naturbilder von grünen Wäldern und rubinblauen Flüssen, unterlegt mit einer einlullenden Ambiente-Musik von Komponist Riz Ortolani haben verdächtigen Reisevideocharakter und sollen dem Zuschauer wohl vermitteln, dass der Naturraum aus der Luft in seiner ganzen Schönheit kaum repräsentativ ist für die Gefahren, die unter den Baumkronen lauern. Der Einstieg lässt den Zuschauer in optisch-akustischer Hinsicht noch im Unklaren wie dieser Film die Thematik des Kannibalismus angehen wird.
In der nächsten Szene spricht ein Fernsehreporter in die Kamera – es handelt sich um eine Fernsehreportage aus New York, die uns vor Augen führt, dass der Mensch trotz seines starken Wissensdurstes, der erfolgreichen Pionierarbeit im All und der errungenen technischen Fortschritte immer noch kaum etwas von der Existenz primitiver Völker in den unergründeten Teilen des Amazonas weiß, die nach „Steinzeit-Ritualen“ leben und Kannibalismus praktizieren – der Reporter bezeichnet diesen Ort als das „grüne Inferno“ und legt noch reichlich Zündstoff nach mit dem Zusatz, das alles spiele sich in der Nachbarschaft von New York ab.
Um dieses Wissensdefizit der New Yorker bezüglich primitiver Lebensweise, Kannibalismus und den Amazonas-Urwald zu decken sei nun ein mutiges Kamerateam aufgebrochen, mit der Absicht einen Dokumentarfilm vor Ort zu drehen. Es handele sich hierbei um den Regisseur Alan Yates (gespielt von Carl Gabriel Yorke), die Autorin und Yates’ Freundin Faye Daniels (Francesca Ciardi) und den beiden Kameramännern Jack Anders (Perry Pirkanen) und Mark Tomaso (Luca Barbareschi). Die vier sind ein eingeschworenes Team und haben schon mit ihren früheren Dokumentarfilmen aus Krisengebieten das Interesse der Medien und der Bevölkerung geweckt. Finanziert wird das Forscherteam von dem New Yorker Sender „Pan American Broadcast Company“. Die letzten Aufnahmen von der vierköpfigen Crew und ihrem Dschungel-Führer Felipé stammen aus Brasilien, wo sie abschließende Interviews geben und sich gut gelaunt und ausgelassen zeigen, selbst als der Moderator sie darauf hinweist, dass bereits zwei andere Expeditionen in den Amazonas von ihrem Trip nie zurückgekehrt sind. Die fünf besteigen fest entschlossen das Wasserflugzeug und fliegen davon.
Die Fernsehreportage ist aber noch nicht zuende. Sie setzt uns vielmehr in Kenntnis, dass seitdem schon zwei Monate ohne Lebenszeichen von Yates’ Gruppe vergangen sind und die American Broadcast Company nun einen Suchtrupp los schickt, um herauszufinden, was mit der Crew passiert ist. Für dieses Vorhaben konnte der Anthropologe und Kannibalen-Experte Professor Harold Monroe (großartig gespielt von Robert Kerman) gewonnen werden und dieser folgt nun auf den Spuren von Alan Yates.
Gianfranco Clerici, der Drehbuchschreiber, hat die Handlung clever gegliedert und eingesponnen. Die Fernsehreportage zu Beginn des Films bietet sämtliches Basiswissen um die Motive und Beweggründe der Gruppe von Yates und entwirft auch ein kurzes Portrait zu jedem Gruppenmitglied. Darüber hinaus wird auch das wachsende mediale Interesse an dem Verlauf der Expedition deutlich, was auch der Grund für die Finanzierung des Suchtrupps mit dem Anthropologen Monroe erklärt.
Mit dem Fernsehbeitrag hat Deodato die Exposition gelegt für die eigentliche Handlung; Monroes Eintritt in den Dschungel, die Bekanntmachung mit seinen beiden venezuela-stämmigen Jungle-Guides Chaco (Salvatore Basile) und Miguel und einem als Geisel gehaltenen Yacumo (einem der drei Kannibalenstämme, deren Lebensraum in den Amazonas vermutet wird). Deodato beschließt den Plot mit einem Dschungelabenteuer-Teil zu beginnen. Hier sind die klassischen Motive vertreten: ein exotisches, für den Zuschauer fremdes und gefährlich erscheinendes Terrain als Ort der Handlung; zahlreiche wilde Raubtiere, die den Gefährten die Expedition erschweren, und natürlich die unvermeidlichen Konflikte zwischen den drei Männern, insbesondere zwischen den Experten auf ihrem Gebiet Monroe und Chaco, die durch die ihnen bevorstehenden Gefahrensituationen mit der Zeit zu guten Freunden werden – wobei hier die klassischen Klischees von verweichlichtem, sentimentalem Stadtmenschen und beinhartem, intuitiv und damit meist richtig liegendem Buschmann aufeinander treffen, sich aber gut ergänzen und der Story einen eigenen Reiz verleihen.
Schon früh streut Deodato in seine Geschichte die exploitativen Elemente ein – da wird in einer Szene in aller Ausführlichkeit gezeigt wie Miguel, der Jüngste der drei, ein Pelztier, welches einem Waschbär ähnlich sieht, fängt und mit dem Messer aufschneidet, während dieses in Agonie schreit. Sein Mentor Chaco füttert daraufhin den Yacumo-Gefangenen mit den Eingeweiden des Tieres. Es ist nun eine große Streitfrage wieso für diesen Film dieses Tier sterben musste – und es sollte nicht das einzige sein. In jeder Hinsicht ein Jammer und eine politisch unkorrekte Entscheidung des Filmemachers (Deodato hat schon bald nach Veröffentlichung des Films sein Bedauern darüber ausgedrückt, dass Tiere sterben mussten und hätte es gerne rückgängig gemacht). Was diese Szenen dennoch in starkem Maße bewirken ist den Film authentischer und dem Dschungelalltag angepasst erscheinen zu lassen. Sicher ein Bedürfnis des Regisseurs die Gesetze des Dschungels und die Neigung des Menschen Grausamkeiten aufzuzeigen, die uns kaum mehr von den Raubtieren unterscheiden.
Eine weitere Botschaft, die Deodato dem Zuschauer vermitteln möchte, ist die Omnipräsens des Todes und der Bedrohung im Urwald, die aus den mannigfaltigen Gefahren entspringen kann – sei es durch riesen-große Taranteln, Gift- und Würgeschlangen, Raubkatzen und Alligatoren. Aus gerade diesen vielfachen Gründen ist ein Dschungelführer bei jeder Urwaldexpedition unabkömmlich. Da ist es schon fast Ironie, dass die erste Spur von Alan Yates, über die Monroes Suchtrupp stolpert, die verwesene Leiche von deren fachkundigen Dschungelexperten Felipé ist. Der erste Blickkontakt mit den Kannibalen folgt unmittelbar darauf. Hierbei beobachten Monroe, Chaco und Miguel aus den Büschen heraus ein rituelles Bestrafungsritual an einer untreuen Ehefrau durch den Ehegatten. Diese Bilder sind aufgrund ihrer Brutalität wahrlich schwer in Worte zu fassen – die Wirkung ist jedenfalls verheerend. Kameramann Sergio D'Offizi gelingen hierbei so gelungene Kameraperspektiven, dass es sich unmöglich unterscheiden lässt welche Handlungen echt und welche gestellt sind. Der Einsatz von optischen Tricks, Blut, Schlamm und Ortolanis minimalistischer Musik, die lediglich aus einzelnen elektrischen Tönen besteht, übertragen ein sehr intensives Bild von Schmutz, Primitivität und Ekel.
Chaco und Monroe beschließen dennoch mit diesem Einwohnerstamm, bei welchem es sich um die Yacumos handelt, in Kontakt zu treten. Sie wenden auf geschickte Art die Annäherungs- und Jagdrituale des primitiven Volks an und lassen den in Geisel gehaltenen Yacumo als Zeichen ihrer Wohlgesinnung frei. Das verschafft ihnen schnell Zutritt in das Dorf der Yacumos, wo sie auf weitere Spuren von Alan Yates sadistischen Spielereien treffen. Yates hatte mit Brandstiftung Menschen und Tiere getötet oder verletzt und damit den gegenüber den Weißen ängstlichen Yacumo-Stamm merklich gedemütigt und traumatisiert.
Monroe setzt seine gesamten Kenntnisse als Erforscher primitiver Völker ein, um die ganze Geschichte aus den Augen der Einheimischen zu erfahren und Frieden zu stiften. Auch hier erweist sich ein kleines Geschenk – ein Springmesser – als die effektivste Methode, das Vertrauen des Volks zu gewinnen. Über die nun ihnen freundschaftlich gesinnten Yacumos gelangt Monroes Truppe in das Territorium der benachbarten, äußerst aggressiven zwei Stämme, auf die es Yates von Anfang an abgesehen hatte: das Baumvolk Yanomamo und das Sumpfvolk Shamatari; beide Stämme bekriegen sich andauernd und entführen, vergewaltigen, verbrennen, zerstückeln und weiden sich gegenseitig aus. Als Monroe und seine Gefährten nun in deren Wirkkreis gelangen verüben die Shamataris gerade einen Überfall auf die Baum-Menschen, indem sie vor deren Behausungen in den Regenwaldbäumen ein großes Feuer entfachen, um damit die Bewohner auszuräuchern. Der wiederholte Einsatz von Ortolanis steten simplifizierten Klängen erzeugt eine äußerst verklemmende Situation, die nur durch das Eingreifen der beiden Dschungel-Guides unterbrochen wird. Sie schlagen sich auf der Seite der Yanomamos und wenden den Angriff der Shamataris ab, worauf sie auch Zugang in das Dorf der Baummenschen bekommen. Hier findet Monroe die größte Distanz gegenüber Weißen vor – Alan Yates und seine Leute haben sich hier offenbar am meisten ausgetobt. Monroe muss sich für eine Zeit lang komplett in die Rituale der Kannibalen adaptieren, mit ihnen speisen (dabei wird ein toter Shamatari ausgeweitet und die Organe in roher Form den Gästen zum Verzehr aufgetischt), ihre Bräuche ehren und langsam das Vertrauen dieser primitiven, stark ritualisierter Menschen gewinnen.
Danach darf sich der Anthropologe die Geschichte von dem Kulturzusammenstoß ansehen – denn diese Menschen können sich mit Fremden nur über Körpersprache verständigen; eine hoch dramatisierte, theatralische Solo-Performance vom Häuptling lässt schon Schlimmes erahnen und als Monroe auch den aus den Gebeinen der Filmgruppe errichteten Mahnschrein erblickt, bestätigen sich seine schlimmsten Befürchtungen. Durch einen Handel kann Monroe tatsächlich die Filmrollen rausschlagen und fliegt damit zurück nach New York. Hier verhandelt er mit den Programmchefs des American Broadcast Senders und bekommt die Erlaubnis, vor dem Schnitt und der Veröffentlichung des Materials, dieses vorher selbst zu sichten.
Dieser Punkt stellt ganz klar den Höhepunkt des Films dar – es sind viele Hinweise gelegt worden und ohne es zu wissen ist Monroe tatsächlich auch den gleichen Weg von Alan Yates und dessen Filmteam bei seiner Expedition gegangen. Nun soll das Filmmaterial aus den zwei Handkameras der Filmcrew die Rätsel aufklären, die verbunden mit schlimmen Befürchtungen, bei der Suchaktion aufgekommen sind. Deodato schöpft auch hier wieder aus den Vollen und zeigt mit authentisch gemachten TV-Interviews, Talkshows und von Monroe selbst durchgeführten Befragungen der Angehörigen der verschiedenen Filmteam-Mitglieder den typischen Sensationalismus der Medien und deren gieriges Bestreben aus provokantem und aufrüttelndem Stoff hohe Einschaltquoten heraus zuschlagen.
Doch schließlich darf der Zuschauer neben dem bewährten Menschenexperten Monroe im Schneideraum Platz einnehmen und das ungeschnittene, der Öffentlichkeit noch gänzlich vorenthaltene Filmmaterial sehen. Anfangs, als das Bild in dem Abspielgerät aufflackert und der Ton hinzu kommt, spürt man noch die Echtheit der Aufführung, Monroes und des Cutters Präsens, genauso wie das stete Surren des Projektors einen akustisch begleitet. Doch schon bald saugt der Dschungel den Zuseher wieder in seinen dunklen Bann und sämtliche Hintergrundgeräusche des Vorführraums driften ab, ohne dass man es merkt. Denn wir beginnen als Zuschauer den Weg genau da wo auch der Suchtrupp gestartet ist – doch dieser Weg ist anders, die Gesellschaft der Filmcrew erweckt einen ganz anderen Eindruck: statt ernsthaftem, professionellem Interesse an der Thematik herrschen unter den vier Filmleuten Frivolitäten, überschwappende Sensations- und Abenteuerlust, sowie der Reiz an der Gefahr und der Todesnähe. Alan Yates und seine Gruppe trampeln und stampfen ihren eigenen Pfad durch die unberührte Biosphäre des Urwalds, schießen um sich und greifen wo immer die Möglichkeit besteht in die Natur ein, um möglichst beeindruckende noch nie gemachte Aufnahmen zu machen. Ihr Weg kann nur in einer tragischen Sackgasse enden....
Gerade diese umstrittene zweite Hälfte des Films – die Handkamera-Aufnahmen von Alan Yates’ nicht fertig gestelltem Dokumentarfilm stellt sich als die Perle von Deodatos schon bis dahin technisch und inhaltlich solide gemachten Werks heraus. Die Art wie die Kamera geführt ist – es sind zwei 16mm-Handkameras, die abwechselnd von Yates, Anders und Tomaso, nur selten von Faye, gehalten werden – verleihen dem Film einen großen Teil der Authentizität. Die Handhabung ist zwar erfahren, denn schließlich sind alle drei ausgebildete Filmemacher, aber den Umständen unterworfen. So sieht man häufig kleine Wackler, weil der Kamerahalter in Bewegung oder im Laufen ist, mehrfache schnelle Zooms, wenn plötzlich etwas ungewohntes oder außergewöhnliches im Gange ist, und der emotionalen Situation der Gruppe nachempfundene Kamerabewegungen, die meist rasch und dynamisch sind. Insgesamt tastet das kinematographische Auge immerzu die Umgebung ab und versucht stets das zu dokumentieren, wo gerade etwas Außergewöhnliches und Bizarres im Gange ist. Wenn die Einheimischen aus der angezündeten Hütte herauslaufen, so bewegen sich auch die Kameramänner mit und machen Nahaufnahmen, um deren Panik einzufangen. Wenn der Dschungelführer Felipé von der Schlange gebissen wird und einen Todeskampf aussteht, so ist die Kamera immer mit dabei und versucht die letzten Großaufnahmen von dessen Gesicht festzuhalten. Das ist
cinéma verité –
„Das Kino der Wahrheit“ oder des Authentischen. Und dass gerade in diesem Abschnitt die unvorstellbarsten Greueltaten an Tieren und der gegenüber unserer westlichen Zivilisation scheinbar primitiveren Bevölkerung begangen werden, dass Alan Yates seinen Dokuauftrag ausnutzt um seine eigenen gewalttätigen, neodarwinistischen Allmachtsfantasien in einem selbst inszenierten Film umzusetzen und das alles in einer unverhüllten, dem Voyeurismus frönenden Darstellung – das ist der wahrhaft erschreckende und gesellschaftskritische Zündstoff an „Cannibal Holocaust“.
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Background und Kritik:
„Cannibal Holocaust“ aka „Nackt und zerfleischt“ ist der zweite Teil von Deodatos sogenannter Dschungeltrilogie. Sie besteht aus drei Filmen die von der Thematik her ganz lose Zusammenhängen: „
Jungle Holocaust“, ein Abenteuerfilm mit Kannibalen, dann eben „Cannibal Holocaust“, und zuletzt „Cut and Run“, wiederrum eher ein Abenteuer-/Actionfilm. „Cannibal Holocaust“ ist sicherlich der berüchtigste der drei Filme. Der Name sorgt noch heute für graue Haare bei den entsprechenden Prüfgremien und gilt als einer der grausigsten Filme die je gedreht wurden, immerhin bringt er es angeblich auf Beschlagnahmungen in 50 Ländern dieser Erde.
Das Werk wurde im Jahr 1980 gedreht, als das Kannibalengenre seinen Höhepunkt erreichte. Deodato hatte mit dem indirekten Vorgänger „Jungle Holocaust“ ja bereits ein durchaus sehenswertes Werk vorgelegt, sein größter Konkurrent Umberto Lenzi schob mit „Mangiati Vivi!“ ein Werk nach, dass die Gewalt im Genre auf einen neuen Höhepunkt trieb. Wiederrum gab es reichlich Tiertötungen und Gemetzel, so dass der Film einen berüchtigten Ruf erlangte. Trotzdem war der Film nicht viel mehr als ein stupider Splatterfilm, der mit rassistischen Untertönen die Vernichtung des menschlichen Körpers zelebrierte.
„Cannibal Holocaust“ hat als einer der wenigen Kannibalenfilme tatsächlich eine gewisse Aussage und Deodato schuf somit den vielleicht wirklich wichtigen Vertreter dieses extremen Subgenres. Somit ist „Cannibal Holocaust“ ein Kind seiner Zeit, und würde heutzutage sicherlich nicht mehr in dieser Form gedreht werden, wie Ruggero Deodato selbst zugibt. Er geht sogar soweit, dass er sich manchmal wünscht, dass er den Film nie gedreht hätte. Warum der Film diese extreme Wirkung, selbst auf den eigenen Regisseur hat, soll im folgenden dargestellt werden.
Der Film ist inhaltlich vom Aufbau her zweigeteilt: der Zuschauer bekommt einen relativ gewöhnlichen Spielfilm – wenn auch mit extremen Szenen – geliefert, der Professor Monroes Weg durch den Dschungel folgt. Monroe ist, wie oben erwähnt, auf der Suche nach den verschollenen Filmemachern, erlebt dabei allerlei Begegnungen im Regenwald, und kann schließlich das Filmmaterial bergen. Dieser Teil ist relativ konventionell gedreht, handwerklich natürlich gut gemacht, aber eigentlich noch nichts so besonderes, was dem Film seinen Ruf hätte einbringen können. Gedreht wurde auf 35mm Material, Schnitt und Kamerführung sind versiert, und die Schauspieler spielen ihre Rollen. Natürlich gibt es zwischendurch Goreeinlagen und sehr kontroverse Szenen, doch dann findet nach knapp 45 Minuten der große Bruch des Films statt: Monroe und sein Team finden die Filmrollen der verschollenen Crew, und „Cannibal Holocaust“ bekommt endlich den Aspekt, der ihn so berühmt-berüchtigt gemacht hat: auf 16mm gedreht, um den Unterschied deutlicher darstellen zu können, sowie per Handheld-Aufnahmen, bekommen wir das Material der Expedition zu sehen. Der Kniff an diesem Film ist, dass „Cannibal Holocaust“ suggeriert, er würde aus echtem Filmmaterial bestehen, das nicht gestellt ist. Diese Idee zieht sich durch den ganzen Film, er vermittelt den Eindruck von echtem Material und dass er auf einer wahren Geschichte basieren würde. Selbst das Marketing wurde darauf ausgelegt, doch die Sache wurde zum Selbstläufer und sorgte für einigen Ärger für die Macher. „Blair Witch Project“ kopierte diesen Ansatz eigentlich komplett und brachte es damit zu Berühmtheit, obwohl er eigentlich nur klaute. Und doch geht „Cannibal Holocaust“ mit der Vermischung von Realität und Fiktion noch einige Schritte weiter.
Dies fängt schon damit an, dass „Cannibal Holocaust“ tatsächlich echte Szenen enthält, wofür er auch berühmt und sehr umstritten wurde. Denn in „Cannibal Holocaust“ werden, wie in fast jedem Kannibalenfilm, echte Tiere vor laufender Kamera getötet. Dieses Thema sorgt immer wieder für Streit, ob diese Tötungen nötig sind oder nicht, eine Frage, die wahrscheinlich nie ganz zu klären sein wird. Trotzdem muss man Deodato eingestehen, dass er, im Gegensatz zu seinen Kollegen, die Tötungen weniger selbstzweckhaft eingesetzt hat. Wo bei Lenzi sinnlos mitten im Geschehen Tiere getötet werden, benutzt Deodato diese Szenen gezielt, um den Realismus zu steigern und damit die Grenze zwischen Zuschauer und Film immer weiter einzureißen. Interessanterweise lehnte Deodato bei dem Vorgänger diese Szenen ja ab und weigerte sich sie zu drehen, doch bei „Cannibal Holocaust“ schuf er mit der Schildkrötenszene vielleicht einer der grausigsten Vertreterinnen dieser Gattung. Eine lebendige Flussschildkröte wird aus dem Wasser gezerrt, enthauptet und in minutenlangen Großaufnahmen ausgeweidet. Diese Szene klingt unglaublich grausam, ist extrem schwer anzuschauen und versetzt dem Zuschauer einen derben Hieb in die Magengegend.
Die Affen sollten eigentlich getrickst werden, doch die Indios bestanden auf echte Tiere, da deren Gehirne als Delikatesse galten, womit wieder dieser enorme Realismus in den Film Einzug erhielt. Diese Tatsachen entschuldigen natürlich nicht die Tötungen, doch sie setzen sie in einen Zusammenhang, der vielleicht für „Verständnis“ sorgt.
Für die Darsteller wurden gerade die Tiertötungen ebenfalls zu extremen Erfahrung, Perry Pirkanen brach nach der Schildkrötentötung in Tränen aus, auch das Erbrechen von Francesca Ciardi in dieser Szene ist echt.
Diese Szenen sorgten und sorgen natürlich für Empörung. Ironischerweise stellten diese zu Beginn jedoch kein Problem dar. Ein Teil der Werbekampagne war, dass die beteiligten Schauspieler untertauchen sollten und lange Zeit keine weiteren Angebote annehmen durften. Sie wurden somit – wie eben bei „Blair Witch Project“ - als tot dargestellt. Durch die verwackelte Kameraführung und vielen künstlichen Filmrisse beim 16mm Material, sowie durch die geschickte Inszenierung der Tötungsszenen, konnten die Tricks nicht entlarvt werden. So gibt es ein aufgespießtes Indiomädchen zu sehen, bei der ein geschickt platzierter, künstlicher Filmriss den Trick verbirgt. Diese Szene brachte Deodato eines von vielen Gerichtsverfahren ein: er musste tatsächlich vor Gericht beweisen, dass diese Darstellerin noch am Leben war und stellte daher den Trick vor Gericht nach. Auch wegen den eigentlichen Hauptdarstellern gab es Vorwürfe, Deodato hätte sie tatsächlich für den Film töten lassen, was ihm ein Berufsverbot einbrachte. Deodato und die Produzenten zogen schlussendlich die Notbremse und präsentierten die Damen und Herren in einer Talkshow als lebendige Menschen, womit sie sich von diesen Vorwürfen befreien konnten. Um jedoch wieder zu den Tiertötungen zu kommen, brachte der Film die Obrigkeiten derart auf die Palme, dass sie erst jetzt die Tiertötungen verurteilten, und zwar nach einem sehr alten italienischen Gesetz, dass Gewalt gegen Tiere auf Film unter Strafe stellte. Erst jetzt konnten sie Deodato eine Straftat nachweisen und hatten somit wohl ihr Ziel erreicht.
Trotzdem enthält der Film auch echte Menschentötungen, so schrecklich das klingen mag. Deodato tötete natürlich niemanden für den Film, aber da der Kannibalenfilm aus dem Mondo-Genre entstand, ist auch die Einbindung dieses Materials Teil seiner Zeit (immerhin wurde „Mondo Cane“ damals für einen Oscar nominiert). Die fiktive Filmcrew hat im Film angeblich eine Reportage namens „Last Road to Hell“ gedreht. Und eben dieser fiktive Film wird in „Cannibal Holocaust“ ausschnittsweise gezeigt. Er enthält sowohl extra gedrehtes, inszeniertes Material, aber auch echte Exekutionen aus afrikanischen Ländern, wahrscheinlich aus Nigeria. Diese echten Aufnahmen führen zu einem weiteren Verschwimmen von Realität und Fiktion beim Zuschauer, er wird quasi dazu gezwungen, die dramatische Realität des Films als echt anzunehmen. Und dieses Schema zieht „Cannibal Holocaust“ bis zum Ende durch, so sprechen Schrifttafeln im Abspann von Geldstrafen für die handelnden Personen, was natürlich nicht stimmt.
Zu Beginn wurde ja festgehalten, dass Deodato Kritik an der Gewaltgeilheit der Medien zum Ausdruck bringen wollte, was er mit seinem Film auch tat. So wird im Laufe der Spieldauer deutlich, dass die Filmcrew viele Szenen absichtlich gestellt hatte, um möglichst spektakuläre und blutige Bilder präsentieren zu können. Und eben diese Gewaltgeilheit gibt Deodato vor zu kritisieren, dabei ist aber bemerkenswert, dass er mit seinem Film genau dieses Schema verfolgt, und damit sich und dem Zuschauer einen Spiegel vorhält und mit der eigenen Moralauffassung konfrontiert. Doch auch hinter der Kamera gibt es so manchen Aspekt, der diese Aussage in die Realität einholte. So wurde der Führer der Filmcrew kurze Zeit später verhaftet und verurteilt, da er mit gut zahlenden Touristen Jagdausflüge in den Dschungel machte. Nicht jedoch auf Tiere, sondern tatsächlich auf Indios.
Deodato gibt dem Zuschauer aber mehrere Möglichkeiten, das grausame Geschehen zu beenden. Wenn der Betrachter nicht von selbst merkt, dass es noch schlimmer werden kann, dann sprechen dies die Charaktere direkt an. So sagt der Filmvorführer in der Rahmenhandlung wortwörtlich: „You think this is bad? Alan did much worse, just watch." Diese Ankündigung erinnert an die Texttafeln in „
Menschenfeind“, bei dem der Zuschauer einen Countdown bekommt, den Film zu stoppen. Auch vorher gibt es explizite und implizite Warnungen, dass der Film immer schlimmer werden wird. Und der Film enthält über die Laufzeit verteilt wirklich viele grausame Szenen, die schwer zu goutieren sind. Mit vielen kleinen Szenen wird auch deutlich, dass die fiktive Filmcrew viele der grausamen Szenen nur gestellt haben, wie oben bereits erwähnt. Aber auch innerhalb der Gruppe gibt es Konflikte, vor allem zwischen der einzigen Frau in der Gruppe und ihren Kollegen. So wird Faye Daniels in einer kurzen Szene von einer Spinne auf ihrer Schulter befreit. Sie hat eine Panikattacke, heult und schreit, ihre Kollegen „retten“ sie und alles sieht aus wie eine harmlose Tierszene. Aber hier gibt es schon einen Vorgriff, dass die Crew Szenen stellt, denn in einer fast unsichtbaren Einstellung zeichnet sich ein Grinsen auf dem Gesicht von Alan Yates ab, als ob diese die Panikattacke beabsichtigt haben. Aber auch die einzige Dame im Team hat alles andere als eine weiße Weste. Als ihre Kollegen ein Indiomädchen vergewaltigen, schreitet sie ein, jedoch mit der Begründung, dass das Verschwendung von Filmmaterial ist.
Wie man sieht, ist der Film mehr als kontrovers, in seiner intensiven Darstellung von Gewalt und der implizierten Echtheit des Geschehens ist er wohl bis heute unerreicht. Wie bereits erwähnt folgte für Ruggero Deodato ein Berufsverbot, obwohl er die Snuff-Vorwürfe entkräften konnte, wurde er für die Tiertötungen bestraft. Übrigens führte die Enthüllung Deodatos, dass alle Schauspieler noch am Leben waren, zu Protesten und Enttäuschung beim spanischen Publikum, da dieses nun merkte, dass der Film gestellt war. Soviel also zur Gewaltgeilheit, die Deodato kritisieren wollte. Er selbst bereute Jahre später, den Film gemacht zu haben, obwohl dieser ihm viel Ruhm brachte. Doch mit diesem Ruhm wurde er für seine anderen Filme nicht mehr beachtet und auf „Cannibal Holocaust“ beschränkt, was ihn persönlich sehr störte. Auch von den Tiertötungen nahm er Abstand und würde es heute nicht mehr machen, so dass „Cannibal Holocaust“ sowohl zum Triumph als auch zum Fluch für Ruggero Deodato wurde.
Die Dreharbeiten waren sowohl unangenehm, als auch gefährlich und für viele der Beteiligten eine besondere Erfahrung. Carl Gabriel Yorke, der Alan Yates spielt, trug immer seinen Pass und einiges an Geld bei sich, da er lange Zeit nicht wusste, in was für einem Film er mitspielt, und ob das vielleicht tatsächlich ein Snuff-Film war. Schon bei seiner Ankunft am Drehort per Kanu kam ihm am Fluss ein abgetrennter Arm entgegen, was sich aber als Requisite herausstellte. Trotzdem blieb er immer in Abreisebereitschaft. Die Indios waren teilweise echte Eingeborene, der Stammesführer der Yacumos war in einer Szene, in der er mit einem echten Messer vor Robert Kerman herumfuchtelt total besoffen, was ganz witzig anzuschauen ist, wenn man das weiß. Die Indiofrauen die mit Kerman baden gehen waren Prostituierte aus dem örtlichen Bordell, aber Kerman selbst hatte kein Problem, dass diese ihm an seinem besten Stück fummelten, da er selbst in mehreren Pornos mitspielte. Francesca Ciardi wurde von Deodato besonders schlecht behandelt, und wohl bis aufs übelste beschimpft. Sie selbst zerstritt sich mit Yorke wegen der gemeinsamen Sexszene. Sie schlug ihm vor, dass sie doch einfach in den Dschungel gehen sollten und tatsächlich miteinander schlafen würden, doch Yorke lehnte ab, was Ciardi sehr kränkte. Auch die männlichen Schauspieler wurden von Deodato nicht unbedingt nett behandelt, so hatte der junge Schauspieler, der den Dschungelführer spielt eine Szene, bei der er weinen musste. Deodato erfuhr vorher, dass dessen Vater erschossen wurde, und um eine echte Reaktion zu bekommen, sagte er es ihm kurz vor Beginn der Szenen. Die Eingeborenen die in den Bäumen leben, die sogenannten Tree People, waren übrigens echt, genauso wie die Waffe von Robert Kerman, der einen echten Revolver bei sich trug. Die Verständigung mit den Eingeborenen erfolgte wohl über Geräusche sowie mit Händen und Füßen.
Bis heute zeigt der Film Auswirkungen auf die Kinolandschaft, auch wenn vielen das nicht bewusst ist. Der Film selbst wurde unmittelbar in jüngster Zeit durch „Cannibal“ aka „Welcome to the jungle“ aufgegriffen, aber auch „
Cloverfield“ bedient sich der Idee des viralen Marketings und verkauft sich selbst als echt. Und nicht zuletzt ist der bereits erwähnte „Blair Witch Project“ eigentlich nur ein Rip-Off, der sich ähnlichen Mechanismen bedient, jedoch nicht mit dieser Konsequenz verfolgt, dafür aber auch deutlich bekannter ist. Nicht zuletzt, weil viele Länder die Verbreitung dieses kontroversen Vorbildes verhindern wollten.
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Gesamtfazit:
(David Kugler)
Mit „Cannibal Holocaust“ gelang Ruggero Deodato ein wirklich bemerkenswerter Film. Der Film ist absolut grausam, ist schwerlich als unterhaltend zu bezeichnen, hat jedoch neben all der Gewalt und Exploitation tatsächlich sowas wie eine Aussage und ist vielleicht der einzige intelligente Beitrag zu diesem Subgenre. Deodato und seiner Crew gelingen Bilder, die sich bei dem Zuschauer einbrennen und den Film zu einem unvergesslichen Erlebnis machen. Bilder wie das gepfählte Indiomädchen wurden zu Ikonen des Genres, und Szenen wie die Schildkrötentötung wurden fast schon zu einer Legende. Die großartige Fotografie wird untermalt von einem kongenialen Soundtrack des oscarnominierten Riz Ortolani. Sein Soundtrack steht mit stellenweise wunderbar harmonischen Melodien in krassem Kontrast zum Geschehen auf der Leinwand, und die minimalistischen und dissonanten Töne untermalen die Gewaltspitzen gekonnt. „Cannibal Holocaust“ ist nicht unbedingt ein Film, den man gesehen haben muss, er ist erst recht kein Film, den man mögen muss, aber er ist auch nicht die selbstzweckhafte, menschenverachtende Gewaltorgie zu der er oft stilisiert wird. „Cannibal Holocaust“ bedarf einer tieferen Reflexion, er ist ein Film von Größe, aber auch ein durchaus verachtenswertes Werk für seine Tiertötungen, doch in seiner Konsequenz ein Kind seiner Zeit, und von seiner Wirkung bis heute nur von wenigen Filmen eingeholt. Ich persönlich würde den Film als Kunstwerk bezeichnen, von einem Regisseur, der bei aller Exploitation und späteren Trashfilmen zeigt, dass er genau weiß was er warum tut, so dass Deodato weit über seinen italienischen Kollegen steht. „Cannibal Holocaust“ ist ein – im wahrsten Sinne des Wortes – merkwürdiger Film, den man nicht mögen muss, verurteilen darf, aber auch beachten sollte.
(Eduard Beitinger)
Ruggero Deodatos Kannibalenfilm „Nackt und Zerfleischt“ aka „Cannibal Holocaust“ erweist sich sowohl inhaltlich als auch filmtechnisch als ein schonungsloses Dokument menschlicher und zivilisatorischer Grausamkeit und Opportunismus, in gleichem Maße wie zynische Gesellschafts- und Medienkritik. Deodato wendet hierbei aber auch exploitative Elemente wie Tötungen und Folter vor der Kamera in sehr ausschlachtender Weise an (insbesondere die tatsächlichen, leidvollen Tiermorde), was mitunter zwar sehr stark den Echtheitsgrad seiner Bilder untermauert, gleichzeitig aber ethisch unvertretbar und skandalös ist und weswegen der Film auch verständlicherweise noch bis heute in vielen Ländern verboten (Island, Malaysia, Neuseeland, die Philippinen, Singapur) oder um die genannten Szenen geschnitten ist.
Nichtsdestotrotz bleibt dieser Film ein starkes, mutiges und originelles Stück Filmgeschichte mit einer ebenso beunruhigenden wie wahrhaften Reflexion unserer Mediengesellschaft.