(USA / 1971)
"Es gibt Risiken, die man nicht eingehen darf. Die Vernichtung der Menschheit ist ein solches."
(Friedrich Dürrenmatt, "Die Physiker")
"The blind men shout "Let the creatures out!""
(Iron Maiden, "2 Minutes to Midnight")
"Fools! They refuse to believe that life exists in meteorites. Even with a micorscope they are blind."
Wir kamen gut weg in letzter Zeit. Die apokalyptischen Todesseuchen kamen und gingen fast zuverlässig im Fünfjahresrhythmus. (Ebola 2014, EHEC/Schweinegrippe 2011, Vogelgrippe 2006, SARS 2003 und die Rinderseuche in den Neunzigern.) Die Spanische Grippe tötete fast so viele Menschen wie der Zweite Weltkrieg. Gar nicht zu reden von der Pest, dem "Schwarzen Tod", der im 14. Jahrhundert nur sechs Jahre brauchte, um aus Europa ein großes Leichenhaus zu machen.
Seuchen, Viren, Bakterien. Lautlose Killer. Das Kino ist eine Brutstätte für die hinterhältigsten Angstphantasien, und dieses Thema gehört zu seinen allerliebsten, denn es zeigt uns Menschen in absoluter Hilflosigkeit. Ein Paradebeispiel: Wolfgang Petersens geniale Panikmache
Outbreak (1996). Da stehen Dustin Hofmann und Kevin Spacey im Labor und starren auf das Motaba-Virus: „Es ist so winzig und kann uns alle im Handumdrehen töten."
Zombies muss man in den Kopf schießen, gegen Werwölfe gibt es silberne Kugeln, bei
Vampiren helfen Kreuz, Holzpflock und Sonnenlicht. Und gegen einen Messerstecher wie die Gummifratze aus Wes Cravens
Scream-Filmen würde es auch eine handelsübliche Handfeuerwaffe richten. (Komisch, dass da vier Filme lang niemand auf die Idee kommt, wo die Amerikaner ihre Eigenheime doch angeblich mit Knarren regelrecht tapezieren.)
Gegen Viren ist man machtlos. Ist der winzige Feind erst mal im Körper, beginnt der Countdown. Viren haben kein Gesicht, jagen einen nicht mit der Kettensäge ums Haus oder tauchen plötzlich mit gezücktem Messer aus dunklen Wandschränken auf. Entweder es gibt Medizin oder man ist bald tot. Eine scheiß Vorstellung.
The Andromeda Strain (
Andromeda - Tödlicher Staub aus dem All (1971)) ist ein früher Vertreter des "Infectious Disease Thriller", der solche Ängste aufnimmt und verwertet. Einer der besten und unbequemsten des Genres. Sperrig und eigenartig. Ein buchstäbliches Protokoll des Schreckens.
In der Romanvorlage von Michael Crichton wird durch eine gestrandete Raumsonde ein unbekannter Mikroorganismus auf die Erde eingeschleppt. Er befällt die Bewohner eines texanischen Dorfs, nur ein Greis und ein Kind überleben. Ein Team aus vier Wissenschaftlern unter Leitung des Biologen Dr. Jeremy Stone (Arthur Hill) soll in einem unterirdischen Labor den Erreger aufspüren und ein Gegenmittel finden. Und das schnell, denn die Ausbreitung ist kaum noch in den Griff zu kriegen.
The Andromeda Strain ist zuerst, im wahrsten Sinn des Wortes, ein Science Fiction-Thriller, bei dem die Betonung auf Wissenschaft liegt. Die Inszenierung von Regisseur Robert Wise (
The Day the Earth Stood Still (1951),
West Side Story (1961),
The Haunting (1963)) interessiert sich nicht für Drama oder Einzelschicksale.
Sein Film gleicht einer wissenschaftlichen Analyse, so sachlich und ungerührt, dass es manchmal weh tut angesichts des Schreckens, um den es geht. Wie ein Blick unter ein Mikroskop, unter dem man dann die Forscher sieht, die wiederum in Mikroskope schauen. Dieser Ansatz zieht sich konsequent durch die Inszenierung, die manchmal minuziös an Details klebt, Prozesse seziert, während andere, nicht gerade unwichtige Entwicklungen in Nebenszenen oder kurzen Voice-Over-Passagen durchgewunken werden.
Wenn Dr. Jeremy Stone und Dr. Mark Hall (James Olson) zu Beginn des Films in die kleine texanische Stadt kommen, ist bereits alles geschehen. Die Menschen liegen tot in den Straßen, auf dem Fußboden, auf dem Spielplatz. Auch tote Kinder sind zu sehen, das war damals sehr rüde, fast ein Tabu. Die Einzelaufnahmen der Leichen gehen in eine Split Screen-Sequenz über. Fast wie eine Liste, alles aufgereiht und katalogisiert. Aus Tragöden wird eine Bestandsaufnahme.
Es gibt vier Hauptdarsteller, doch der eigentliche Star des Films ist das unterirdische Hightechlabor. Mehrere Szenen verbringt Wise damit, den Weg der Wissenschaftler von Ebene 1 auf Ebene 4 zu verfolgen, auf dem sie entkeimt und entschlackt, bespritzt und bestrahlt werden. Denn jede Bazille gefährdet den Forschungserfolg. In diesem Monstrum des Fortschritts werden die Insassen erst medizinisch rein und dann auf großen Bildschirmen zu bloßen Symbolen. Ein Buchstabe für jeden Wissenschaftler, Patienten und Satellit werden zu X und O. Damit jeder zu jeder Zeit weiß, wo der andere ist.
Computerstimmen dirigieren die Menschen durch die Gegend. Läuft die Kommunikation mit der Maschine nicht nach Vorgabe, gibt’s kein Weiterkommen. Wenn die Maschine Namen und Vorname verlangt und Dr. Hall antwortet andersherum, heißt es: Ihre Eingabe konnte nicht verarbeitet werden. Eine der Stimmen, eine weibliche, klingt so verführerisch, doch Halls Flirtversuche sind vergebens.
Totale Technik. Selbst die Hintergrundmusik von Gil Mellé ist, bis auf wenige Ausnahmen, keine richtige Musik, sondern fremdartiges Fiepen und Rattern.
Und gerade weil Wise eines seiner letzten Werke so kalt und präzise in Szene setzt, bekommen wir ein gutes Gespür für den Druck und den Stress, der mit jeder Szene zunimmt. Stone und seine Mitstreiter arbeiten ohne Unterlass. Man trifft sich, bespricht sich, dann geht’s zurück an die Arbeit. Sie suchen Tag und Nacht, bis an die Grenze der Erschöpfung. Draußen in der Welt, gefühlte Lichtjahre entfernt, geht der Fehlerteufel um. Wissenschaftler konferieren mit Politikern, Politiker mit Generälen – und zurück. Informationsketten können abbrechen, Anweisungen versickern, Missverständnisse vorkommen. Am Ende legt ein Papierkügelchen die gesamte Kommunikationsstruktur lahm. Ein Witz, ein symbolischer.
The Andromeda Strain feiert die Fortschritte der Technik, berauscht sich an den Möglichkeiten der Wissenschaft. Und doch lässt er keinen Zweifel daran, dass all das Grenzen hat. Es ist nicht einmal eine Frage der Schuld, ob nun der Mensch die Technik nicht gut genug beherrscht oder die Technik einfach nichts wert ist ohne den Menschen. Denn Fehler passieren, zwangsläufig. Zum Schluss, wenn der Countdown zur Selbstzerstörung läuft, bemerkt Sloan halb salomonisch, halb entgeistert: „Dieses System haben wir uns perfekt ausgedacht, selbst unsere Fehler begräbt es.“
Sarkasmus im Angesicht des Untergangs. Aber eine Botschaft dieses Filmes ist, vermutlich, dass es kein perfektes System gibt.
Die vier Wissenschaftler sind indes keine gesichtslosen, austauschbaren Figuren (es hätte gut zum Konzept gepasst), sondern Persönlichkeiten mit eigenem Kopf. Vor allem die Rolle von Dr. Ruth Leavitt (Kate Reid) ist interessant. Eine kantige, unbequeme Dame, die nicht auf den Mund gefallen ist. Ihre Figur steht in der Reihe der ersten starken Frauen im Spannungsfilm.
Auch das war nicht gewöhnlich, denn Wissenschaft und Action war ja ein Männermetier. In vergleichbaren Filmen, wie Richard Fleischers
Fantastic Voyage (
Die phantastische Reise, 1966), ist Raquel Welch vor allem dazu gut, im knappen Bikini hübsch und hilflos zu sein. Das sieht in der Tat fantastisch (geil) aus, aber es ist und bleibt eine typische Frauenrolle. Wises Film funktioniert auf einer anderen Frequenz, und da ist für Sexappeal kein Platz.
Dafür aber, natürlich, für die Frage nach Verantwortung der Wissenschaft, die im Atombombenzeitalter brandaktuell war. Denn wie sich herausstellen wird, ist die Wissenschaft nicht nur Teil der Lösung, sondern auch Teil des Problems und die Katastrophe hausgemacht. Es ist, als ob Dr. Stone am Ende nicht mit einem Kongressabgeordneten, sondern mit dem Zuschauer spricht, wenn er fragt: "Was können wir tun, damit sowas nicht noch mal geschieht?"
Am Ende seines Lebens bemerkte Robert Oppenheimer zerknirscht: "Die Physiker haben erfahren, was Sünde ist. Und dieses Wissen wird sie nie mehr ganz verlassen."
In diesem Film waren die Biologen an der Reihe.