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Runaway Train - Express in die Hölle

Runaway Train - Express in die Hölle

Ein Film von Andrei Konchalovsky

(USA, 1985)



“It´s thirty below out there.“



Kalt, kalt, kalt. Alles an diesem Film ist kalt. Die Szenen und Bilder, gedreht im winterlichen Alaska. Die Menschen, die sich in diesem Film nichts Tröstliches zu sagen haben. Die Welt, in der es nur den Kampf ums Überleben gibt.

Um der harten Welt und dem harten Wetter trotzen zu können, musst du ein ganzer Kerl sein, ich meine, ein richtig harter Kerl, die härteste Sau weit und breit. Jon Voight spielt die harte Sau, und dafür hatte er sich gut vorbereitet. Wann hatte er jemals bulliger und raubeiniger ausgesehen? Gut, er hatte die wilde Bootstour in John Boormans Deliverance (Beim Sterben in jeder der Erste, 1971) überlebt und schlug sich in Ronald Neames The Odessa Files (Die Akte Odessa, 1974) mit alten Nazis rum. Aber so eine Rolle war für ihn Neuland. Er spielt den Knastbruder Oscar „Manny" Mannheim, der in einem Hochsicherheitsgefängnis in Alaska in einer Isolationszelle hockt. Der sadistische Gefängnisdirektor Renken (John P. Ryan) hat ihn dort hineingesteckt. Bereits beim ersten Aufeinandertreffen der beiden wissen wir, dass sie intime Todfeinde sind. Renken hat keine hohe Meinung von Sträflingen, und ganz besonders nicht von Manny. „Du bist ein wildes Tier, nichts anderes.“ Das wird der Film auf die Probe stellen.

Da wilde Vögel nun mal nicht zum Eingesperrtsein geboren sind,
sondern fliegen sollen, beschließt Manny den Ausbruch. Sein bester Kumpel kann nicht mit, dafür klinkt sich die extrovertierte Laberbacke Buck (Eric Roberts) in seine Pläne mit ein. Nach geglückter Flucht erreichen sie einen Güterbahnhof und besteigen nach dem Zufallsprinzip einen Güterzug. Dummerweise erwischt es den Lokführer kurz nach Fahrtbeginn (Herzanfall), der Zug rast führerlos mit neunzig Sachen durch die eisige Wildnis.

Runaway Train, gedreht vom russischen Exilregisseur Andrei Konchalovski, gehört zu den intelligenten Actionfilmen der Achtzigerjahre. Vermutlich weil er eher eine Art Actiondrama darstellt, das mehr auf die Menschen und ihre Handlungen als auf effektlastiges Drumherum achtet. Konchalovski hatte in der Sowjetunion mit Tarkovski zusammengearbeitet und mit Filmen wie Onkel Wanja (1970) oder Sibiriade (1979) Perlen des russischen Kinos geschmiedet. Als er Anfang der Achtziger in die USA ging wartete er Jahre, bis er das richtige Projekt fand. Angebote, Agatha Christi oder Stephen King zu verfilmen, schlug er aus.

Nun hatte er sich auf das Abenteuer eingelassen einen Streifen zu drehen, der viele Dreharbeiten an und auf einem Zug notwendig machte. Dieses Unterfangen war vertrackt, denn der reguläre Schienenverkehr lief natürlich weiter wie gehabt und aus jeder Einstellung musste so viel wie möglich rausgeholt werden. Und dieses Unterfangen war gefährlich, einem Hubschrauberpiloten kostete es das Leben, er rammte mit seinem Helikopter versehentlich die Leitungen eines Strommastes.

Runaway Train - Express in die HölleRunaway Train - Express in die HölleRunaway Train - Express in die Hölle
Alles, wirklich alles an und in diesem Film ist kalt, und roh. Eiswüste und Gebirge zwischen Seward, Anchorage und Fairbanks sind eine beeindruckende und zugleich einschüchternde Kulisse. Die Kälte formt und verformt alles und bestimmt das Handeln der Menschen, die täglich in ihr leben. Alle Teile am Zug sind mit faustdickem Eis überzogen. Sich auf den fahrenden Wagons zu bewegen, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Auch die Aufnahmen aus dem Gefängnis sprechen diese rohe Sprache. Ein verwanzter dreckiger Knast wie er im Buche steht, überall tropft es von den Wänden. Wenn wir Manny und Buck bei ihren Fluchtvorbereitungen sehen, reiben sie sich überall mit stinkendem Fett ein und überziehen dann den ganzen Körper mit Zellophan. Notwendig, um in der Eishölle überhaupt einen Finger krumm machen zu können. Wenn die beiden dann durch den Abwasserkanal waten und durch ein Rohr in den Fluss plumpsen (bei 30 Grad Minus), durchfährt es einen wie nur was.

Manny ist physisch und psychisch ein grober Klotz und zäher Hund, der keine Ambitionen hegt sich nach dem Ausbruch einen lauen Lenz zu machen. Härte und Enthaltsamkeit sind seine obersten Lebensprinzipien. Das passt nicht zu seinem Begleiter. Buck träumt vom süßen Leben in Las Vegas, von leichten Mädchen und schneller Kohle. Ein sabbelnder Einfaltspinsel, dafür doch irgendwie mit dem Herzen am richtigen Fleck. Er verehrt Manny, den großen Held und Anführer im Wolfsrudel, doch seine Verehrung wird auf eine harte Probe gestellt. Die Rumtreiberin Sarah, die sich zufällig auch auf den Zug verirrt hat, wird gespielt von Rebecca de Mornay, die in diesem Film bewerkenswert abgerupft und unsexy aussieht. Und der grimmige Renkin ist im Grunde von ähnlichem Schlag wie Manny. Unerbittlich macht er sich auf die Jagd und ist bei der Durchsetzung seines Willens nicht gerade zimperlich. Am Schluss lässt Konchalovsky all diese Temperamente aufeinander prallen.

Die motivische Frage danach, was Menschen in Extremsituationen tun, wenn sie an Leib und Leben bedroht sind, wenn es darum geht, erst mal die eigene Haut zu retten, endet scheinbar in achselzuckendem Darwinismus. Ein Gegensatz zwischen animalischem Überlebenstrieb und menschlicher Vernunft und Mitleidsbegabung nimmt Konchalevsky gar nicht erst an. Das ist eine These, die einer anderen, fundamentalen Auffassung gegenübersteht.

Immer wenn es heißt, irgendwer oder irgendetwas sei "unmenschlich", ist damit die Vorstellung vom Menschen als moralisches, zivilisiertes Wesen gemeint. Dabei lehrt die Geschichte bis heute, dass manchmal eher das Gegenteil richtig ist. Dass Rücksichtslosigkeit und Brutalität ein Teil der menschlichen Natur sind. Eine Primitivität, die sogar mit der Rational Choice-Theorie vereinbar ist, nach der in jeder Situation die Wahrung des eigenen Vorteils gesucht wird. Nutzenmaximierung und Kostenminimierung, wie der Ökonom so gerne sagt. Und Vernunft ist dann nichts moralisches mehr, sondern nur noch Teil eines Verhaltens, das die Selbsterhaltung zum Ziel hat. Und somit logisch wird.
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Wenn Sarah Manny anzischt, er sei ein Tier, erscheint es fast folgerichtig wenn dieser zurückkeift: „Schlimmer, ich bin ein Mensch!“ Manny wandelt dabei auf einem schmalen Pfad zum Wahnsinn. Gerade am Ende, wenn er den im Hubschrauber vorbeifliegenden Renkin wie im Rausch anschreit und damit auch in dunklen Tunneln nicht aufhört. Ein Siegesgebrüll, das den Schnee von den Bergen fegt. Voight wurde für seine Leistung für den Oscar nominiert, genaue so wie Roberts als bester Nebendarsteller.

Im orchestralen Finale fährt Konchalovski schwere dramaturgische Geschütze auf. Nachdem der Knastchef vom Hubschrauber auf die vordere Lok gesprungen ist, überrumpelt Manny ihn und kettet ihn an. Er entkoppelt die restlichen Wagons, in denen Buck und Sarah sitzen und rettet damit ihr Leben, winkt ein letztes Mal. Er selbst denkt nicht daran, abzuspringen. Das Leben ist ihm egal, wenn man es stattdessen in der Hand hat, in Freiheit zu sterben. Die Führerlok rast auf ein totes Gleis und wird bald entgleisen. Manny steht auf ihr, den Körper in verkrampfter Siegerpose, die an ein Kruzifix erinnert. Im Hintergrund singt der Chor des Russischen Konservatoriums Gloria von Vivaldi. Es ist die einzige Erlösung, die Manny noch finden kann und auch der einzige Weg, sein Ende selbst zu bestimmen. Die Lok fährt weiter ins weiße Nichts, bis sie nicht mehr zu sehen ist. Zum Schluss ein Zitat aus Shakespears Richard III: „Selbst das wildeste Tier kennt doch des Mitleids Regung.“ / „Ich kenne keins, und bin deshalb kein Tier.“

So etwas bekommt man nicht zu sehen in Chuck Norris-Filmen.

Konchalovsky hat am Ende also doch eine Hintertür aufgemacht. Überlebenstrieb bestimmt unser Handeln, aber trotzdem sind - manchmal - Taten möglich, mit denen wir Mitleid und Selbstlosigkeit unter Beweis stellen können.

Wenigstens etwas.

Runaway Train ist eines der besten Abenteuerdramen der achtziger Jahre, auch eine Studie über menschliches, allzu menschliches Verhalten. Beeindruckend, rustikal und episch.

Eine Rezension von Gordon Gernand
(23. Dezember 2007)
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Daten zum Film
Runaway Train - Express in die Hölle USA 1985
(Runaway Train)
Regie Andrei Konchalovsky Drehbuch Edward Bunker, Djordje Milicevic, Paul Zindel (Script), Ryuzo Kikushima (Literaturvorlage)
Produktion Golan Globus, Northbrook Films Kamera Alan Hume
Darsteller Jon Voight, Eric Roberts, Rebecca de Mornay, John P. Ryan, Kyle T. Heffner
Länge 111Min. FSK ab 16
Filmmusik Trevor Jones
Oscarnominierungen in den Kategorien: BESTER HAUPTDARSTELLER (Jon Voight) und BESTER NEBENDARSTELLER (Eric Roberts)
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