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Das letzte Schweigen

Das letzte Schweigen

Ein Film von Baran Bo Odar

Kindermord ist nicht nur ein schreckliches, sondern auch höchst vorsichtig zu behandelndes Thema. Egal, wie man sich damit beschäftigt, ob als Zeitungsartikel, in Prosaform oder in Form eines Kinofilms, so etwas verlangt immer nach einer besonderen Behutsamkeit.
In seinem Filmdebüt „Das letzte Schweigen“ erzählt Regisseur Baran Bo Odar allerdings noch von einer ganzen Reihe mehr Themen, die es mit Konzentration abzuhandeln gilt.
Hier interessiert nicht nur ein Verbrechen, sondern auch die Menschen, die es getan haben und die dadurch verletzt wurden; auch die Hintergründe, wie es zu so einer Tat kommt und auch die Polizeiarbeit in solchen Fällen. Klar ist, dass jede Reise in diese fast schon eigene Welt in die dunklen Ecken der menschlichen Psyche führt und man muss gewappnet sein, um diesem intensiven Druck standhalten zu können und sich mit dem Unfassbaren zumindest für eine Weile lang auseinander zu setzen.

An einem warmen Sommertag wird in einem kleinen Vorort ein Mädchen vergewaltigt und ermordet. Die Leiche wird erst Tage später im Wasser gefunden, der Mörder kann nicht gefasst werden. 23 Jahre später ereignet sich noch einmal ein Verbrechen – exakt nachgestellt wie jenes von vor 23 Jahren: gleicher Schauplatz, gleiches Verschwinden, ähnliches Opfer. Hat der Mörder von damals erneut zugeschlagen? Oder ist es Nachahmung? Und wenn, warum auf den Tag genau 23 Jahre später? Die Leiche des Mädchens taucht diesmal vorerst n
icht auf und die Polizei beginnt ihre Fahndung, während alte Wunden wieder aufbrechen…

Bemerkenswert an diesem deutschen Werk ist die Stringenz, mit der der Regiedebütant seine filmische Richtung verfolgt. Gleich die Eröffnungsszene des Films gibt den stilistischen Ton vor: als Zuschauer sehen wir uns an einem vor Hitze flirrenden Sommertag versetzt, eine spannungsreiche, wenn auch minimalistische klangliche Untermalung des Geschehens lässt schon erahnen, dass etwas Schreckliches folgen wird. Wir werden bekannt gemacht mit Timo (Wotan Wilke Möhring, „Antikörper“) und Peer (Ulrich Thomsen, „Adams Äpfel“) und man sieht beiden sofort eine gewisse Eigenartigkeit an. Die bedrohliche Szenerie, in der die beiden ein Mädchen auf ihrem Fahrrad verfolgen, verlagert sich dann auf ein Kornfeld, in dem das Korn in der Hitze steht und nur zwei schmale Reifenspuren den Weg vorgeben. Ohne jedwede Vorwarnung fängt Peer das Mädchen ein und halb verdeckt durch das hohe Korn sehen wir mit dem abseits stehenden Timo, wie Peer das Mädchen vergewaltigt und anschließend tötet.
Eine bedrückende Szene, deren Erzählweise den ganzen Film ungebrochen bleibt. Es gibt viele unfassbare Momente wie diesen, doch im Grunde ist die gesamte Atmosphäre während des kompletten Films so unbehaglich und unfassbar, dass es einem kalt den Rücken herunterläuft.

Das letzte SchweigenDas letzte SchweigenDas letzte Schweigen

Auch, wenn relativ wenig direkte Gewalt gezeigt wird (mehr wäre auch überhaupt nicht nötig gewesen), spürt man ununterbrochen diese bedrohliche Ebene, die unter dem Schein schlummert.
Das fängt an bei Timo, den man anfangs nach dem Mord nur noch wegfahren sieht – er setzt sich ab. 23 Jahre später sieht man ihn mit seiner Familie, er hat eine Frau,einen Sohn und eine Tochter, und sie feiern Kindergeburtstag. Was unter der Oberfläche brodelt, wartet allerdings geradezu darauf, auszubrechen und so sehen wir gespannt zu, wie Timo sein Leben führt und zählen praktisch die Momente, bis seine heile Welt anfängt, zu bröckeln.
Zeitgleich werden auch die Menschen eingeführt, die in diesem neuen Fall vorgehen. Auch sie haben teilweise ihre eigenen Probleme zu bewältigen: Krischan Mittich (Burghart Klaußner, „Das weiße Band“) ist ein Ex-Polizist, der damals auf den alten Fall angesetzt war und dadurch engen Kontakt zur Mutter (Katrin Sass, „Good Bye, Lenin“) des Opfers hatte, welche nun durch den erneuten ähnlichen Mord ebenfalls in ihren Grundfesten erschüttert wird. Kommissar David Jahn (super: Sebastian Blomberg, „Anatomie“) leistet penible Arbeit, das merkt man ihm an, aber man merkt noch etwas: er hat den Tod seiner Frau nicht überwunden und leidet unter massiven Problemen, was seinen Seelenzustand angeht.

Der Film ist aber glücklicherweise nicht nur daran interessiert, den Fall aufzuklären und ein altbekanntes „Wer-war-es?“ zu bieten, sondern beleuchtet vielmehr die (Un-)Tiefen der menschlichen Psyche. Großes Interesse wird z.B. an der Mutter des damaligen Mordopfers gezeigt. 23 Jahre lang lebte sie ihr Leben und durch Gespräche mit anderen erfahren wir, dass sie es natürlich niemals vergessen hat und jeden Tag damit lebt – das Zimmer ihrer Tochter ist unverändert. Erst durch die Diskussion mit anderen und der damit einhergehenden Reflexion darüber wird ihr klar, dass es falsch ist, zu versuchen, die Erinnerung so genau und konstant aufrecht zu erhalten und natürlich entleert sich ein Versuch, dies zu beenden, in Wut und Trauer, aber man merkt, dass sie mit der Zeit aufbricht. Sie versucht jetzt nicht nur mehr, damit zu leben und die Blümchen am Kreuze ihrer Tochter zu erneuern, sondern stellt sich der Sache, auch durch den Kontakt mit dem damals ermittelnden Mittich, mit dem sie durch die ganzen aufkeimenden Emotionen von damals auch Nähe sucht.

Hervorragend geht der Film mit dem Mittäter Timo um. Als dieser durch eine Sendung im Fernsehen erfährt, dass ein ähnlicher Mord geschehen ist, zerfällt seine aufgebaute Familienidylle auf einen Schlag und das sieht man ihm ab sofort in jeder Sekunde an. Wie vom Blitz getroffen, völlig versteinert, macht er sich auf, um Peer zu finden – der tatsächlich immer noch als Hausmeister dort arbeitet, wo er es schon vor 23 Jahren getan hat. Die Momente, in denen Timo Peer begegnet, sind von atemloser Intensität, man kann nicht vorausdeuten, wohin diese Begegnung führt. Auch anhand des Habitus, der Timo immer in genau den Situationen verrät, wenn er seiner krankhaften Neigung verfällt (dann läuft er nämlich gebeugt und löst die Hände nicht von der Seite), kann man nicht ausmachen, wie sich diese Begegnung auflösen wird. Kurz darauf trifft der Film den Zuschauer erneut mit größter Wucht und kompromisslos direkt, ohne Musikuntermalung: in seiner Wohnung, vor Licht und Fremdeinwirkung geschützt, bewahrt Peer noch immer die Kinderpornofilme auf, die ihn früher begeistert haben. Als dieser Umstand klar wird, macht sich beim Zuschauer blankes Entsetzen breit und es sind Momente wie diese, die der Film gekonnt in guten Abständen einstreut, die die ganze Szenerie verdammt beunruhigend machen.

Generell ist es so bemerkenswert wie problematisch, dass der Film im Hintergrund auch Themen wie Schuld, Sühne, Trauer und Wut anspricht. Es ist wirklich angenehm, hier keinen Krimi-Einheitsbrei geboten zu bekommen, sondern wirklich einen dramatischen Thriller, dessen Kunst in der Ruhe liegt, allerdings verzettelt sich die Szenerie ein wenig bei all den besprochenen Emotionen und Themen. So hätte man z.B. einfach noch mehr wissen wollen, wie es Timo nach dem Treffen ergeht, diese Phase danach hat allerdings ein relativ kurzes, wenn auch bedeutendes Ende. So geschieht es, dass viele Emotionen und viele angesprochene Probleme auf den Zuschauer einwirken und man einerseits gebannt zusieht, andererseits aber auch über das Eine gern mehr gewusst hätte, während Informationen über das Andere vielleicht hätten geringer ausfallen dürfen.
Im Allgemeinen verfügt der Film auch über eine genau gewählte Bildersprache, die nicht aufgedrückt wirkt, sondern in ihrer Wirkung einfach ihr Ziel erreicht. Sei es die grausame Szene zu Beginn, die man nur durch das wogende Korn sieht oder die Schlusssequenz, welche mit einfachsten Mitteln den höchstmöglichen Effekt erreicht, hier aber nicht verraten werden soll.

Das letzte SchweigenDas letzte SchweigenDas letzte Schweigen

Der Film versteht es, wie es sich für einen guten Thriller gehört, ohne mit dem Finger darauf zu zeigen, die Spannungsschraube anzudrehen, muss sich dabei aber nicht nur auf diese Momente verlassen. Wo manch ein Hollywood-Thriller sich zwischenzeitlich gern mal Auszeiten nimmt und nur punktuell für Spannungsspitzen sorgt, hat der Film bereits seit der ersten Szene eine Stimmung kreiert, die ihr ganz eigenes Spannungsfeld aufrecht erhält und somit niemals abflacht, sondern eben nur durch bestimmte Situationen angehoben wird.
Dies hat auf der anderen Seite natürlich den Nachteil, dass ein so konzentriert inszenierter und auf unbehagliche Unfassbarkeit ausgerichteter Film Schwierigkeiten mit der Laufzeit hat. Bei allem, was passiert und bei allem, auf was man achtet, vergehen die 114 Minuten zwischenzeitlich recht langsam. Das tut dem gesamten Filmerlebnis keinen Abbruch, verringert jedoch den Wiederanschauungsfaktor.

Zusammenfassend kann man also sagen, dass es sich bei „Das letzte Schweigen“, einer Romanverfilmung nach Jan Costin Wagners „Das Schweigen“ (2009), um ein ganz starkes deutsches Thrillerdrama handelt, welches alles in allem durch seine ganz starke unterschwellige Spannung, der inszenatorischen Stringenz und die hervorragenden Darsteller punktet. Eine weitere Besonderheit stellt die Bandbreite der angesprochenen Themen und die vorsichtige Behandlung derselben dar, die sich überzeugend in das Gesamtkonstrukt einfügen und dem Film im Einklang mit seiner von Unbehaglichkeit durchsetzten Atmosphäre eine ebenso brisante wie unbequeme Note verleihen.
„Das weiße Band“ (2009) hat es bereits vorgemacht: deutsches Kino kann mit den richtigen Darstellern und unter einer fähigen Leitung unglaublich kraftvoll sein. „Das letzte Schweigen“ reicht an dieses cineastische Werk nicht ganz heran, kann sich aber trotzdem definitiv in der Liste der wirklich guten deutschen Filme platzieren. Hier sollte man nicht schweigen – sondern einfach eine Empfehlung aussprechen.

Eine Rezension von Sebastian Walther
(21. März 2011)
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Daten zum Film
Das letzte Schweigen Deutschland 2010
Regie Baran Bo Odar Drehbuch Baran Bo Odar
Produktion NFP Filmproduktion / Warner Kamera Nikolaus Summerer
Darsteller Ulrich Thomsen, Wotan Wilke Möhring, Sebastian Blomberg, Burghart Klaussner, Katrin Sass
Länge 114 Minuten FSK 16
http://www.dasletzteschweigen-derfilm.de/
Filmmusik Michael Kamm, Kris Steininger
Kommentare zu dieser Kritik
Micha Barbarez sagte am 22.03.2011 um 10:01 Uhr

Am stärksten fand ich die Szenen zwischen den beiden Tätern und das recht ungewöhnliche Motiv für die zweite Tat. Ich hatte lange darauf getippt, dass die Mutter des ersten Opfers einen Mord begeht, um die Nachforschungen im Fall ihrer Tochter wieder anzuheizen. Das wäre auch eine interessante, böse Auflösung gewesen.


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