Wenn die Realität zum Politthriller wird: Die Geschehnisse rund um die Enthüllungsplattform WikiLeaks und ihren Mitbegründer Julian Assange sind an Brisanz und Spätfolgen kaum zu überbieten, und jeder hat wohl schon irgendwann einmal davon gehört. Eine Meinung zu haben, ist generell wichtig, sie zu bilden jedoch teilweise ein Ding der Unmöglichkeit, wenn – völlig wertfrei – die Grenze zwischen persönlichem Ehrgeiz und politisch motiviertem Kreuzzug derart filigrane Züge annimmt wie im Falle von Julian Assange. Es soll daher im Folgenden gar nicht erst der Versuch unternommen werden, irgendwie geartete Stimmungsmache, weder bezüglich Assange noch seiner Plattform, zu betreiben, sondern einzig und allein
Bill Condons Buchadaption
„INSIDE WIKILEAKS - DIE FÜNFTE GEWALT“ behandelt werden, die für sich genommen genug Zündstoff bieten sollte, um weltweit Kritikermeinungen zu befeuern. Denn etwa 75% der Inhalte des Films sind direkt dem Buch
„Inside WikiLeaks“ des einstigen Assanges-Kompagnons Daniel Domscheit-Berg entnommen, während der Rest mit Passagen aus dem Sachbuch
„WikiLeaks: Julian Assanges Krieg gegen Geheimhaltung“ gefüllt wird, das die „Guardian“-Journalisten David Leigh und Luke Harding verfasst haben und welches gerade frisch auf Deutsch erschienen ist. Sind wir einfach mal gespannt:
2010: Eine Website namens WikiLeaks sorgt für Aufsehen. Ihre Schöpfer: Julian Assange (Benedict Cum
berbatch) und sein Kollege Daniel Domscheit-Berg (Daniel Brühl). Deren ehrgeiziges Ziel: Die Machenschaften der Mächtigen dieser Welt aus dem Untergrund zu überwachen, indem sogenannten
Whistleblowern anonym die Möglichkeit gegeben wird, korrumpierendes Material auf der Website WikiLeaks zu veröffentlichen und damit der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Mit Erfolg. Schon nach kurzer Zeit wird eine wahre Flut an brisanten Enthüllungen losgetreten, die bis in die höchsten Kreise reichen. Doch als Assange und Domscheit-Berg eines Tages in den Besitz der größten Ansammlung vertraulicher Geheimdienst-Dokumente in der US-Geschichte geraten, ahnen sie nicht einmal annährend, welche Folgen eine etwaige Veröffentlichung nach sich ziehen wird...
„INSIDE WIKILEAKS“ ist, um es bereits vorweg zu nehmen, ein trotz aller Mängel recht solider Beitrag zum Zeitgeschehen, aber keinesfalls
das wichtige Werk, das er wohl gerne wäre. Denn weder sympathisiert er mit der Person Julian Assanges, noch dämonisiert er ihn vollends; vielmehr bleibt der Film jedem offensichtlichen Konfrontationskurs fern. Ein Standpunkt, der nicht unbedingt als feige, sondern eher als notwendige Begleiterscheinung in dem Bestreben angesehen werden sollte, einen dokumentarisch-unparteiischen Film abzuliefern, an dessen Ende sich jeder seine eigene Meinung bilden kann. So erhält der Zuschauer erwartungsgemäß nur wenig Einblick in die Persönlichkeit Assanges, der trotz einer beeindruckenden Leistung von
Benedict Cumberbatch („
Star Trek: Into Darkness“ [2013]) recht blass bleibt, und wird stattdessen direkt mit den teils weitreichenden Auswirkungen seines Handelns bekanntgemacht. Wie Assange letztlich zu dem wurde, der er ist, was ihn seitdem antreibt, wird allenfalls als Randnotiz aufgegriffen und dementsprechend schnell, fast lieblos, abgehandelt. Überhaupt weist Condons dynamisch geschnittener Film ein ungewöhnlich hohes Tempo auf, das leider nicht immer mit dem minutiös aufgearbeiteten Geschehnissen Schritt halten kann und
„INSIDE WIKILEAKS“ teils recht stakkatohaft, um nicht zu sagen:
gehetzt wirken lässt. Wenn recherchiert wird, brennt hier förmlich die Luft. So bleibt dem Rezipienten nur wenig Zeit, die auf ihn einprasselnde Informationsflut mit derjenigen Sorgfalt zu betrachten, die eigentlich angebracht wäre.
Dass er dennoch nicht in ihr ertrinkt, ist dem ein oder anderen ruhigen Zwischenspiel zu verdanken, welches das Geschehen mit charakterbezogenen Momenten (und einem etwas halbgaren Romantik-Subplot) auflockert. Viel erfährt man indes auch hier nicht: Dass sich Journalisten untereinander nicht immer grün sind oder aber brisante Informationen von Hochrangigen gerne heruntergespielt werden, ist so bekannt wie unwichtig, da es letzten Endes doch nur wieder um ihn, Julian Assange, geht (im Übrigen ein durchaus interessantes Leitmotiv, das während des Film öfters, wenngleich im Ergebnis mit fehlender Konsequenz, bemüht wird). Condon seziert munter über 2 Stunden, ohne offenzulegen, fügt nahtlos ein Puzzleteil an das nächste, und doch ergibt sich nicht das allumfassende Gesamtbild, das eines polarisierenden Enthüllungswerks würdig wäre.
Kurz gesagt:
„INSIDE WIKILEAKS“ weiß nichts wirklich Neues zu erzählen, sondern hastet eilig von einer bekannten Station zur nächsten, ohne überhaupt auf die Idee zu kommen, neue Gebiete auszukundschaften, anstatt nur nachzuerzählen. Dabei darf ein Film ruhig reflektieren und nicht nur abbilden. So jedoch ist man deutlich näher an einer gut recherchierten und teils beklemmenden Dokumentation (hier sei etwa beispielhaft auf das gezeigte [authentische?]
Collateral Murder-Video verwiesen) denn einem spannenden Politthriller-Drama, das bei
„INSIDE WIKILEAKS“ nur in Ansätzen und damit leider viel zu selten durchschimmert. Langweilig ist das Gezeigte, auch dank einiger visueller Kniffe bei der Inszenierung, hingegen zu keinem Zeitpunkt; sonderlich kritisch oder gar provokant wird dem an sich brisanten und hochspannenden Thema aber auch nicht begegnet, was schade ist. Besonders ein fingiertes Interview am Ende des Films wirkt im Nachhinein eher bemüht als gekonnt, wenn der Benedict Cumberbatch-Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London gefragt wird, was er denn von dem Film über ihn halte, der gerade in den Kinos laufe. Was genau dieser etwas seltsame Moment der Selbstreflexion soll, der zumindest ein leichtes Schmunzeln beim Zuschauer evoziert, weiß keiner, denn er bringt dem Film keine neuen Einsichten, sondern wirkt eher wie ein Fremdkörper im sowieso schon etwas inkohärenten Enthüllungs-Thriller-Drama-Cocktail. Assanges knappe Antwort ist hier übrigens nicht der Rede wert, fasst sie doch nur noch einmal brav das Leitmotiv des Films zusammen, um den Zuschauer anschließend etwas ratlos in den Abspann zu entlassen.
Abgesehen von jeder auch noch so berechtigten Kritik am Gesamtgefüge lebt ein charakterbezogener Film wie
„INSIDE WIKILEAKS“ aber immer noch zu einem Großteil von den Darstellungen seiner Protagonisten, und hier macht der Film, der bisher eher ein wenig enttäuschte, wieder Einiges an Boden gut. So spielt der wegen der Rolle nun weiß behaarte Cumberbatch selbige gar wunderbar und vor allem gegen Ende wie entfesselt, vermag es dabei aber trotzdem nicht, die komplexe Person Julian Assanges zu entmystifizieren.
Jener Cumberbatchs nicht ebenbürtig, aber dennoch überzeugend ist die Leistung von
Daniel Brühl, der derzeit auch noch in „Rush - Alles für den Sieg“ [2013] zu sehen ist. Seine Interpretation des Daniel fügt sich nahtlos in das Ensemble an hochkarätigen Darstellern ein und beweist, dass Brühl durchaus eine große Karriere in Hollywood bevorstehen kann. Einzig die etwas träge Synchronistation gerade der anderen deutschen Nebendarsteller (u.a. Edgar Selge) trübt den ansonsten guten Eindruck der Leistungen etwas, da sich die Mimen zumeist selbst synchronisierten. Eine an sich verständliche Entscheidung, die den Film jedoch in diesen Szenen unnatürlich laienhaft wirken lässt.
Fazit: Bill Condons solides Filmdrama
„INSIDE WIKILEAKS - DIE FÜNFTE GEWALT“ ist ein Paradebeispiel für inszenierte Unentschlossenheit, das den Weg des geringsten Widerstandes wählt, um auch ja nirgendwo anzuecken. Ohne wirklich Partei für die ein oder andere Seite zu ergreifen, enthüllt Bill Condons Film den Werdegang Julian Assanges präzise - und verhüllt die interessante und sicherlich streitbare Persönlichkeit gleichzeitig wieder hinter Bekanntem und allzu Offensichtlichem. Die interessantesten Drehbücher werden eben doch noch immer vom Leben selbst geschrieben. Für eine Eigenproduktion, die uns täglich umgibt und die ein Film unmöglich vollumfänglich abzubilden in der Lage ist.
Cover & Szenenbilder: © Constantin Film Verleih GmbH