Viele innovative Kurzfilme hatte das
5. Internationale Filmfestival in Wien - die
Vienna Independent Shorts (VIS) – vom 16. bis zum 23. Mai im Programm laufen. Eines der herausragendsten Kurzfilmensembles stammt jedoch ohne Zweifel von der belgischen Regisseurin
Chantal Anne Akerman. Die mittlerweile 57-Jährige unabhängige und vielseitige Avantgarde-Filmemacherin hat sich mit ihren Kurz- und später auch Langfilmen (z.B. "
Eine Couch in New York" von 1996 mit Juliette Binnoche und William Hurt) mittlerweile internationalen Ruhm und Vergleiche mit
Jean-Luc Godard und
Rainer Werner Fassbinder eingebracht. Die bei der VIS vorgestellten vier Kurzfilme geben einen guten Einblick in die ungewöhnlichen Perspektiven der überzeugten Feministin. Allen voran überzeugte mich jedoch Chantals Erstling "
Saute Ma Ville", der sowohl stilistisch als auch inszenatorisch ganz eigene Akzente setzte und den Zuschauer in der kurzen Spieldauer von 13 Minuten in eine eigene, sehr verstörende Welt zu entführen vermochte.
Saute Ma Ville (1968, 13 min. Länge)
Akermans erster Film, in dem sie mit ihren jungen 18 Jahren nicht nur Regie führte, sondern auch die Hauptrolle übernahm. Doch eigentlich existieren im Film neben dem von Akerman gespielten Charakter keine weitere Figuren – die Handlung ist ebenso minimalistisch, bzw. nicht wirklich relevant. Der Zuschauer bekommt ein junges, aufgedrehtes Mädchen präsentier
t, das sich, begleitet vom eigenen Gesumme, auf dem Weg in die Küche einer Wohnung begibt. Im weiteren Verlauf verriegelt und versiegelt sie die Küchentür und macht sich obsessiv daran, sämtliche Gegenstände des Raumes in ihrer Funktion sich dienlich zu machen. Sei es nun Besteck, Schüssel, Teller oder auch nur der Futternapf der Hauskatze – das junge Mädchen macht sich über die Einrichtung her, probiert die Gerätschaften in überschwappender Hektik aus und hat das Interesse genauso schnell verloren wie dieses aufgekommen ist. Zum Schluss bleibt ihr nur noch der letzte Einfall, am Herd ihrem Leben ein Ende zu setzen.
Chantal Akerman nutzt auf sehr intensive, forcierende Weise die akustischen und gestischen Stilmittel, um ihrer Figur das Leiden unter einem nicht klar werdenden Druck, innerer Unruhe und Klaustrophobie zu verleihen. Der Ton ist fragmentarisch und oft asynchron mit den Bildern, die Kamera statisch und von wenigen kinematographischen Elementen gezeichnet (man vermag lediglich gelegentliche Zoom-Ins und Zoom-Outs auszumachen). Das verleiht der Inszenierung eine sehr glaubhafte, schon dokumentarische Note. Das Setting ist ebenfalls sehr realistisch und die Küche, sowie der Flur und das Treppenhaus kann ohne weiteres als eine real existierende Kleinbürgerwohnung aus den 60ern identifiziert werden.
Die Aussage von "Saute Ma Ville" ist nicht eindeutig evident und kann vielfach ausgelegt werden. Im Grunde liegt es am Zuschauer, was dieser aus dem Gesehenen für eigene Schlüsse ziehen will. Ein dominierendes Element des Films ist unbestreitbar die Paranoia und Hektik der Protagonistin, die zurückgeführt werden kann auf Einsamkeit und Vernachlässigung. Akerman zeigt zu Beginn des Kurzfilms Bilder von einem komplett verlassenen Wohnviertel, sowie schale, heruntergekommene Inneneinrichtungen – die Außenwelt ist so trist, dass das Mädchen sich in ihre Innenwelt flüchten muss (akustisch beeindruckend suggeriert durch das omnipräsente zwanghafte Summen, das melodisch an ein Kinderlied erinnert, in der Wiedergabe jedoch sehr bruchstückhaft und unzusammenhängend ausfällt). Die gehetzte Handhabung der Küchenutensilien macht nun auch optisch die innere Verwirrung des Charakters deutlich und kann, wenn man soweit gehen will, auch als eine Kritik an der Indoktrinierung der Frauen zur Hausfrau am Herd und deren Ausweglosigkeit, sich ihrer Rolle fügen zu müssen, gesehen werden. Der angedeutete Suizidversuch des Mädchens wäre jedenfalls eine konsequente Reaktion auf den repressiven Status-quo.
Der Avantgarde-Charakter von
Chantal Akerman wird primär an den stilistischen Mitteln deutlich, die absichtlich den Erzählfluss der Bilder aufbrechen und damit den Zuschauer verwirren und von festgefahrenen Rezeptionskonventionen abbringen sollen. Hier wird der Verweis und die Beeinflussung durch den französischen
Nouvelle Vague Regisseur
Jean-Luc Godard sehr deutlich. Nicht die Handlung und der historische Kontext steht im Vordergrund, sondern der Charakter und dessen innere Zerrissenheit.
Insgesamt enthält Chantal Akermans Kurzfilmdebüt alle Elemente, die in ihren weiteren Filmen (genauso wie in den anderen drei in den VIS vorgestellten Kurzfilmen "
La Chambre", "
J’ai faim j’ai froid" und "
Trois Strophes sur le Nom de Sacher") immer wieder vertreten sind: Frauen als Hauptpersonen, die sich mit den bestechenden Problemen und provokanten Topoi ihrer Zeit auseinandersetzen, solche wie Ausbruch aus den von den Gesellschaft zugewiesenen repressiven Rollen, Freundschaft, Sexualität, Selbstverwirklichung (diese drei besonders eindrucksvoll in "
J’ai faim j’ai froid"), Ängste, Klaustrophobie und Streben nach Freiheit und Welterfahrung (suggestiv thematisiert in "
La Chambre" und "
Trois Strophes sur le Nom de Sacher"). Akerman geht dabei sehr originell und ambitioniert an ihre Filme heran und schafft es zugleich mit scheinbarer Leichtigkeit, jedem Werk eine eigene Note zu verleihen.