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Trainspotting

Trainspotting

Ein Film von Danny Boyle

"Sag Ja zum Leben, sag Ja zum Job, sag Ja zur Karriere, sag Ja zur Familie, sag Ja zu einem pervers großen Fernseher, sag Ja zu Waschmaschinen, Autos, CD Playern und elektrischen Dosenöffnern (…). Aber warum sollte ich das machen? Ich hab zum Jasagen nein gesagt. Ich hab zu was andrem ja gesagt. Und der Grund dafür? Es gibt keinen Grund dafür. Wer braucht Gründe, wenn er Heroin hat?"

Mit "Trainspotting" lieferte der britische Regisseur Danny Boyle ein absolut kultiges Schmuckstück, dessen herausragende Klasse er in seinen späteren Filmen leider nie mehr erreichen konnte. Die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Irvine Welsh (der in einer kleinen Nebenrolle zu sehen ist) avancierte in den 90ern nicht umsonst zum wahren Kultphänomen und zu einem der kommerziell erfolgreichsten britischen Filme. So führt das Britische Filminstitut den Film als einen der zehn besten britischen Filme auf und das Empire Magazine schrie selbstbewusst: „Hollywood, deine Zeit ist um!“. Mit schwarzem Humor formt „Trainspotting“ ein zynisch-satirisches Gesellschaftsbild und schildert die Geschichte einer Clique drogenabhängiger Versager mit all ihren euphorischen Höheflügen und deprimierenden Bruchlandungen. Hier zeigt sich ebenso die ur-menschliche Sehnsucht, aus der bürgerlich geregelten Welt auszubrechen, wie das gnadenlose Scheitern dieses Vorhabens. Der Zuschauer nimmt dabei Teil an dieser irgendwie sympathisch kaputten Welt, die der seinen letztlich
ähnlicher sein dürfte, als es zunächst den Anschein haben mag: „It's just a perfect day“ hört man Lou Reed einmal im Film singen.

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„Nimm den besten Orgasmus. Multipliziere ihn mal 1000 und du bist noch nicht mal nah dran. Wenn du an der Nadel hängst, hast du nur eine Sorge: Wo kriegst du Stoff her? Und wenn du davon runter bist, musst du dir plötzlich über allen möglichen Scheiß Gedanken machen: Hast du keine Kohle, kannst du dich nicht besaufen; hast du Kohle, säufst du zu viel. Hast du keine Braut, kannst du keine Nummer schieben; hast du 'ne Braut, gibt's nur Stress. Du machst dir Sorgen, wie du dein Essen und deine Rechnungen bezahlst oder um deine Fußballmannschaft, die gerade mal wieder absteigt und um zwischenmenschliche Beziehungen und das ganze Zeug, das absolut keine Rolle spielt, wenn man ehrlich und aufrichtig an der Nadel hängt.“

Das Arbeiterviertel Edinburghs ist der Raum, in dem Mark Renton täglich um seinen nächsten Schuss kämpft. Er bewegt sich in heruntergekommenen Wohnungen und lebt für den Moment, in dem das Heroin vielversprechend in seine Venen schiesst - dieser eine Moment, der besser ist als jeder Orgasmus. Immer wieder versucht er der verführerischen Nadel zu entkommen und immer wieder kehrt er zu ihr zurück. Wie sehr er auch den vermeintlichen Prinzipien des Bürgertums entsprechen will, er landet immer wieder auf den harten Brettern seiner sucht-sortierten Welt. Kleine Gaunereien, die betäubende Belohnung in der Blutbahn, Entzugsversuche und erneute Nadelstiche. Mark liegt auf dem Boden der Gesellschaft. Und um ihn herum seine nicht minder abhängigen Freunde: der coole Sick Boy, der chaotische Spud, der cholerische Alkoholiker Begbie, sowie der gutgläubige Tommy, der von den Drogen seiner Freunde anfangs nichts wissen will - liebenswerte Versager im freien Fall der Wirklichkeit.
Irgendwann scheint Mark es aus dem ewigen Sumpf zu schaffen und in die bürgerliche Welt Londons einzutauchen, doch irgendwie kommt alles ganz anders und doch so erwartet...

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„Das sieht aus, als ob es ganz easy wäre. Aber so zu leben ist ein Fulltime-Job.“

Ob über James Bond oder Iggy Pop philosophiert wird, man gemeinsam klauen geht, sich mit einem Luftgewehr im Stadtpark vergnügt, ein vom Arbeitsamt vermitteltes Vorstellungsgespräch erfolgreich versaut, um nicht arbeiten zu müssen oder das Bett der Freundin nach einer durchzechten Nacht mit derbem Durchfall beglückt - trotz ihrer engen Freundschaft und dem gemeinsam erlebten Spass, der immer wieder ehrlich-intime Momente der Zwischenmenschlichkeit erlaubt, kämpft hier jeder für sich allein, immer bereit, sich selbst den Vorzug zu geben und den anderen zu bescheissen. In einer der dramatischsten Szenen des Films, in der das verhungerte Baby Don tot in der Wiege liegt, weil jeder nur mit seinem eigenem Drogenrausch beschäftigt war, zeigt sich die ganze Hilflosigkeit der Figuren mit der vorgefundenen Realtität umzugehen: „Ich wünschte, mir würde etwas einfallen, was ich sagen könnte. Etwas mitfühlendes, etwas menschliches. - Sag doch was, Mark! - Ich mach uns was heiß.“ Und selbst in dieser tragischen Situation bleibt jeder der Freunde ein gebrochener Egoist, der sich durchaus sozial aufgeschlossen zeigt, aber dennoch zuerst an sich denkt: „Ich brauch jetzt nen Schuss, Renz. - Den brauchte sie wirklich, das konnte ich verstehen. Um den Schmerz zu töten. Aber erst nach mir. Das war selbstverständlich.“

„Das ist ein scheiss Zustand, Tommy. Und daran ändert auch die frische Luft in der ganzen gottverdammten Welt nichts.“

Drehbuchautor John Hodge schuff eine dramaturgisch beeindruckende Adaption des Romans, die nur mit etwa der Hälfte der ursprünglichen Episoden auskommt und sich trotz ihrer leicht erhaltenen episodenhaften Struktur zu einer stringenten Dramaturgie zusammenfügt, die zu keiner Zeit Langeweile aufkommen lässt. Die satirische Erzählung bewegt sich dabei gekonnt zwischen realistischer Drastik und absurder Groteske, wodurch sie niemals bitterernst oder gar moralisierend wirkt. Stattdessen bewahrt sich der Film eine humorvoll ironische Distanz mit zynischem Beigeschmack und erzeugt ein heiter-betrübtes Mitgefühl. Tragische und ekelerregende Momente gehen Hand in Hand mit einer kindlich naiven Leichtigkeit des Seins. Gerade deswegen wirkt der Film unverblümt lebensnah und liebenswert. Die Welt wird hier in ihrer grausig-schönen Tragikomik bespiegelt, ohne dass ein erklärender Zeigefinger erhoben wird.
Hinzu kommt, dass Regisseur Danny Boyle eine eigenwillige Inszenierung verfolgt, die die ergreifende Narration immer wieder mit cineastisch stilisierten Attraktionen bricht und dem Zuschauer somit ständig sinnliche Reizquellen bietet. Kino wird hier als Kino erfahrbar gemacht. Dabei verkommen die gewählten Stilmittel nie zum rein dekorativen Selbstzweck, sondern fügen sich immer dienlich in die Gesamtstruktur des Werkes ein. Dies zeigt sich z.B. äußerst eindrucksvoll, als sich Renton eine Überdosis spritzt: der Fall in die Bewusstlosigkeit überträgt sich auf die filmische Darstellung, indem man sieht, wie sich der Boden gleich einem Grab auftut, in das Renton sanft hineingleitet. Der Zuschauer sieht die folgenden Ereignisse aus Rentons eingeschränkter Perspektive und der Bildausschnitt ist links und rechts von den „Grabwänden“ eingeschränkt. Erst als man Renton in der Notaufnahme ein Gegenmittel spritzt und er wieder aus seinem Zustand aufschreckt, taucht auch der Zuschauer wieder mit der Figur vom Grab ins normale Leben auf.

„Persönlichkeit! Darauf kommt es doch an! Und ich meine, Heroin hat 'ne wahnsinns Persönlichkeit.“

Die Figuren des Films werden allesamt von einer melancholischen Leichtigkeit getragen und von den Darstellern des Films hervorragend verkörpert. Für Ewan McGregor war dieser Film der Durchbruch zu einer internationalen Karriere. Um den abgewrackten Junkie Mark Renton authentisch zu verkörpern, nahm er 15 Kilo ab. Er spielt die zerrüttelte Figur intensiv und glaubwürdig, wandelt dabei stets zwischen humorvoller Leichtfertigkeit und enttäuschtem Schmerzempfinden und verleiht seiner Figur das unverwechselbare Gesicht einer hoffnungsvoll zerstörten Kreatur, die sich einzig durch ihre humorvoll ironische Distanz zu sich selbst am Leben hält. Dem stehen jedoch seine Schauspielkollegen in nichts nach: ob Jonny Lee Miller als Sick Boy, Ewen Bremner als Spud oder Robert Carlyle als Begbie – sie alle verstehen es, ihre Figuren individuell auszufüllen und lebendig wirken zu lassen, ohne in Klischees abzudriften.

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„Die würde ich ja nicht einmal mit deinem Schwanz bumsen!“

Geschichte, Figuren, Dialoge, Inszenierung, Soundtrack – bei diesem kultigen Gesamtpaket stimmt einfach alles. Gerade seine Norm verletzende Direktheit macht „Trainspotting“ zu einem Filmerlebnis der besonderen Art. Die sympathisch egoistische Welt, die hier so radikal ehrlich präsentiert wird, liefert tiefgreifende Parallelen zur eigenen Welt des Zuschauers: der Teufelskreis aus Egoismus, Sucht, Kurzzeit-Befriedigung und dem enttäuschten Wunsch nach Liebe ist Bestandteil unserer kapitalistischen Wirklichkeit, in der das Glück so selten aus einem selbst entspringt und so zwanghaft oft von außen zugeführt werden muss. Letztlich spricht der Film in seinem Grundphänomen die ur-menschliche Sehnsucht nach einem Ausbruch aus dem bürgerlich-geregelten Leben an und zeigt gleichzeitig das Scheitern dieses Vorhabens. Der Gewinn an „Trainspotting“ ist, dass man lernt, dass zum Weinen auch das Lachen gehört. So bleibt abschließend auch nur mit Lou Reeds Worten zu sagen: „It's just a perfect day.“

„Aber machen wir uns nichts vor: Ich habe meine sogenannten Freunde übel abgezockt. Also, warum habe ich es gemacht? Ich hätte eine Million Antworten parat. Alle falsch! Die Wahrheit ist, dass ich 'n schlechter Mensch bin. Das wird sich ändern. Ich werde mich ändern. Es war das letzte Mal, dass ich sowas gemacht habe. Ich mach' reinen Tisch, 'nen neuen Anfang, werd' anständig. Ich freu' mich schon drauf. Bald bin ich genau so wie ihr! Job, Familie, pervers großer Fernseher, Waschmaschine, Auto, CD und elektrischer Dosenöffner...“

Eine Rezension von Martin S.
(08. März 2009)
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Daten zum Film
Trainspotting UK 1996
(Trainspotting)
Regie Danny Boyle Drehbuch John Hodge (nach dem Roman von Irvine Welsh)
Produktion Andrew Macdonald Kamera Brian Tufano
Darsteller Ewan McGregor, Jonny Lee Miller, Ewen Bremner, Robert Carlyle, Kevin McKidd, Kelly Macdonald
Länge 94 min. FSK 16
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