Kriminalautor Peter Neal befindet sich in Rom auf Promotour für sein neuestes Buch "Tenebre". Gleichzeitig markiert der Tod einer jungen Ladendiebin den Auftakt einer brutalen Mordserie, die eine Verbindung zu Peter Neal und seinem Werk zu besitzen scheint. Auch das Leben des Autors wird durch Anrufe und anonyme Briefe bedroht, und die Polizei ist auch keine wirklich große Hilfe. Doch dann passiert ein weiterer Mord, und ein Zeuge beobachtet dabei etwas, was er unter dem Schock jedoch nicht genau einordnen kann. Doch dieses kleine fehlende Detail könnte der Schlüssel zur Lösung sein, denn auch ein Ereignis aus der Vergangenheit wirft seinen Schatten ins Jetzt...
Der Film steht insofern besonders in Argentos Schaffen heraus, dass er gewissermaßen durchaus autobiographische Züge zeigt. Peter Neal wird in einer Szene von einer Journalistin mit Vorwürfen des Sexismus aufgrund ständiger Gewalt gegen Frauen konfrontiert, eine Erfahrung, die auch Argento gemacht hat und immer noch macht. Aber auch die Entstehung des Films ist natürlich von Erlebnissen des Regisseurs geprägt. Als er in Los Angeles Urlaub machte hatte er mehrere Schlüsselerlebnisse, die ihn letztendlich zur Arbeit am Drehbuch von Tenebre bewegten. Ein Fan entpuppte sich als Stalker, der schließlich sogar das Leben von Dario bedrohte. Auch erfuhr er immer wieder - wie er es nennt - sinnlose Gewalt in Amerika, wo für scheinbar nichts getötet wird. So wurde in eine wartende Menge vor einem K
ino gefeuert, oder auch ein japanischer Tourist wurde scheinbar sinnlos von drei Männern erschossen. Dies schlägt sich nicht zuletzt auch im Film nieder, so dass das Motiv des Killers doch eher fragwürdig und unklar erscheint. Auch baute er bewusst seine bereits bekannten Stilelemente in den Film ein, da er diese wiederholenden Regietricks einfach mochte, was Tenebre zu einem sehr persönlichen Film von meiner Sicht aus macht.
Mit Tenebre kehrt Dario Argento zu seinen Wurzeln zurück, und liefert wieder einen doch recht klassischen Giallo ab. Nachdem er mit
Suspiria und
Inferno Horrorfilme rund um Hexerei und Alchemie ablieferte, erwarteten viele Leute, dass er seine begonnene Trilogie um die drei grausamen Mütter mit seinem nächsten Film vollendete. Doch die Produktion von Inferno sorgte für viel Ärger bei Argento, der im Laufe der Entstehung des Filmes viele Freunde verlor, so dass er mit diesem Thema erst einmal nichts mehr zu tun haben wollte, auch fehlte ihm die Inspiration. Unter oben beschriebenen Eindrücken von Erlebnissen schrieb er somit das Drehbuch zu Tenebre und schuf nach
Deep Red einen weiteren Film, der von vielen als ein Höhepunkt des Giallo angesehen wird. Passend dazu sind natürlich die klassischen Motive: das Geheimnis in der Vergangenheit, der geheimnisvolle Killer, schwarze Handschuhe und Rasiermesser - alles gern gesehene Zutaten des Genres. Leider kann ich hier schon etwas Kritik anbringen, es gibt recht wenig subjektive Kamerafahrten aus der Sicht des Killers, und auch die Geschichte wird gegen Ende hin, selbst für Gialloverhältnisse etwas krude und nimmt ein paar Wendungen, die dann doch etwas erzwungen wirken. Sicherlich, andere Leute sehen das anders, der Film bereitet das auch gut vor, aber trotzdem gibt es am Ende einen Twist zu viel, der aber zugegebenermaßen zu einer legendären Szene führt.
Ein bestimmendes Thema in meinen Augen ist die Verbindung von Gewalt und Kunst, was natürlich die gewisse autobiographische Färbung des Films unterstreicht. Komischerweise hab ich diesen Aspekt in keiner anderen Kritik gefunden, daher kann ich natürlich absolut auf dem Holzweg sein. Trotzdem spricht Argento in Interviews davon, dass er gerne hübsche Frauen im Film umbringt, und die Gewaltszenen für ihn Kunst sind, was ja für den Zuschauer durch die perfekte Choreographie ersichtlich wird. Der Film zeigt dieses Thema nun in drei unmittelbaren Szenen, die man als "Mord durch, mit und als Kunst" beschreiben könnte. Im Buch Tenebre sieht der Täter Motive für seine Taten, und als er beim Auftaktmord die Seiten des Buches in den Mund des Opfers steckt, wird das Motiv des Täters zum Objekt von Gewalt - Mord durch Kunst. Das Schlagwort "Mord mit Kunst" möchte ich hier nicht weiter erläutern, aber Kenner des Filmes wissen, dass die Kunst als tatsächliches Objekt an sich auch tödliche Konsequenzen haben kann. Mord als Kunst bezieht sich dann letztlich auf eine berühmte Szene, in der ein Mordopfer mit ihrem eigenen Blut die komplett kahle und weiße Wand bemalt, was an amerikanische Action-Painter erinnert. Diese Darstellung von Gewalt als Kunstform zieht sich eigentlich durch das ganze Werk des Regisseurs und findet in Tenebre seinen selbstreflexiven Höhepunkt. Daneben gibt es natürlich noch viele klassische Themen des Giallogenres, so beispielsweise das wahrgenommene aber noch fehlende Detail (was natürlich urtypisch für die Gialli Argentos ist) oder auch gestörte Sexualität, worauf ich aber später noch einmal eingehen werde.
Aber komplett untypisch für Argento ist dann in meinen Augen die komplett kalte Atmosphäre, was ich dem Film dann auch negativ anrechnen würde, auch wenn das ein höchst subjektives Empfinden ist. Im Gegensatz zu den leicht psychedelischen Gialli der 70er Jahre oder den fantastisch bunten letzten Werken Argentos, bietet Tenebre wohl den absolut krassen Kontrast. Tenebre (was wörtlich Schatten bedeutet), spielt fast ausschließlich bei Tageslicht, auch die Nacht ist sehr hell ausgeleuchtet, und den titelgebenden Schatten gibt es eigentlich fast nie zu sehen, wo doch gerade der Schatten des Killers häufig im Giallo die Gefahr ankündigt. Tenebre hingegen setzt auf helles Tageslicht, weiße Wände und Kleidung, und eine sehr sterile Atmosphäre. Dazu kommt noch der eckige Bauhaus-Stil der Gebäude, so dass Tenebre sich atmosphärisch ziemlich anders als klassische Gialli gibt, sich dann aber doch ganz gut in die 80er Jahre einpasst (siehe Lamberto Bavas A Blade in the Dark). Auch völlig unpassend zum eigentlichen Thema sind die Science-Fiction-Aspekte der Geschichte. Richtig gelesen, laut Argento spielt der Film in der Zukunft, daher sind die Straßen so leer, und scheinbar gibt es wohl nur noch reiche oder ganz arme Leute. Dies scheint mir jedoch ziemlich konstruiert und hat für den Film eigentlich keinerlei Bedeutung.
Punkten und faszinieren kann der Film dann aber natürlich in Dario Argentos Paradedisziplinen, sprich der audiovisuellen Umsetzung des Geschehens als Verbindung von Kamera, Soundtrack und Choreographie. Der Soundtrack entstand erneut von GOBLIN (auch wenn nicht mehr alle Mitglieder dabei waren), und erinnert an die klassischen Sounds aus
Suspiria und
Deep Red auch wenn sie deutlich harmonischer wirken. Trotzdem untermalt die Musik das Geschehen wunderbar. Die Mordsequenzen sind natürlich wieder über jeden Zweifel erhaben, auch wenn Argento hier die Gewalt noch mehr sexualisiert als er es ohnehin schon immer tat, so dass Tenebre stellenweise ein sehr verstörend-erotisches Grundgefühl versprüht. Gerade die Morde sind eigentlich immer sehr grafisch und zweideutig dargestellt, die Rasierklinge als Phallussymbol wird hier sehr deutlich ins Bild eingebracht. Auch in der Vergangenheit wurde hier eine Person missbraucht, was letztlich zu den Morden führt, und auch hier ist eindeutig ein sexueller Aspekt vorhanden, und weniger die reine Gewalt in der Kindheit wie in Deep Red. Als Beispiele seien hier natürlich die orale Gewalteinwirkung beim ersten Opfer, sowie der Schnitt durch das Shirt einer Lesbe, was sehr an eine Körperöffnung erinnert.
Desweiteren ist wie erwähnt die Kameraarbeit von Luciano Tovoli natürlich wieder mal ein Hammer, genauso wie bei Suspiria. Wir bekommen zwar weniger subjektive Sichten des Mörders zu sehen (über den wir sowieso ungewöhnlich wenig erfahren), aber ansonsten werden uns faszinierende Bilder geboten. Am legendärsten ist dann natürlich die zweieinhalbminütige Sequenz, in der wir ein Haus aus zig verschiedenen Winkel betrachten dürfen. Die Kamera fährt aus einem Zimmer ins Freie, zeigt uns ein weiteres Zimmer während sie die Hauswand hochklettert, schwingt sich über das Dach, landet auf der anderen Seite des Hauses, zeigt uns erneut das Innenleben und endet schließlich bei den Handschuhen des Mörders, der sich gerade Zugang zum Haus verschafft. Eine Szene ohne jeglichen Schnitt oder Trickeffekte, die drei Tage der Vorbereitung brauchte und selbst heute noch für Staunen sorgt. Am Ende gibt es dann natürlich eine brilliante Einstellung mit Giuliano Gemma, die in
The Bird with the crystal Plumage schon angedeutet wurde, und für einen der größten Überraschungseffekte überhaupt sorgte. Man kann festhalten, dass sich Argento zwischen Deep Red und
Opera (so meine beiden persönlichen "Begrenzungsfilme") definitiv auf dem Zenit seines künstlerischen Könnens befand.
Für die Hauptrolle Peter Neal war eigentlich Christopher Walken vorgesehen, aber auch Anthony Franciosa macht seine Sache durchaus gut. 1957 erhielt er eine Oscarnominierung für Giftiger Schnee als bester Schauspieler, ansonsten war er auch in City Hall zu sehen, 2006 starb er. Veronica Lario, die hier die Ex-Frau von Peter Neal spielt, ist übrigens mit Silvio Berlusconi verheiratet. Die junge Lara Wendel spielte in vielen Italosachen mit, unter anderem in illustren Knallern wie Sexorgien der roten Mönche, aber auch schon im zarten Alter von 7 Jahren in Der Mafiaboss und
My dear Killer. John Saxon kennt man aus
Black Christmas, da hab ich ein paar Infos zu ihm geschrieben. Daria Nicolodi ist natürlich auch wieder mit dabei. John Steiner und Giuliano Gemma kennt man auch aus zahlreichen Italo-Filmen, letzterer ist für seine Western sehr bekannt. Eva Robins, die das Mädchen in den Rückblenden spielt, wurde übrigens als Mann geboren. Ania Pieroni, die Ladendiebin von Anfang, spielte übrigens in
Inferno in ein paar kurzen Szenen Mater Tenebrarum.
Den Film gibt es in zahlreichen verschiedenen Auflagen auf DVD zu kaufen. In Deutschland hat er es (natürlich) nicht auf DVD geschafft, was nicht zuletzt darin begründet liegt, dass der Film beschlagnahmt ist. Sicherlich ist die Gewalt nicht ohne, und sehr ästhetisch inszeniert, aber sie wirkt auch keinesfalls nachahmenswert, vor allem wenn man das Finale betrachtet, dass ein Inferno aus Blut und Schreien ist. Aber darüber zu diskutieren erscheint müßig, daher war die Vorlage hier die amerikanische DVD von Anchor Bay. Das Bild ist soweit gut, der nur englische Ton rauscht manchmal doch sehr stark und ist eher dumpf, trotzdem eine gute DVD. Es fehlen zwar ein paar Sekunden, und auch der Audiokommentar von Dario Argento ist nicht wirklich spannend, vor allem mangels der Englischkenntnisse des Meisters. Inzwischen gibt es bessere Alternativen, aber zum Zeitpunkt als ich die DVD gekauft hab, war sie eben die einzige echte Möglichkeit. Bei unseren Nachbarn in Österreich gibt es den Film auch mit deutschem Ton.
Fazit: Mit Tenebre bietet uns Dario Argento erneut einen künstlerisch hochwertigen Giallo an, der sich aus dem exploitativen Allerlei des Genres deutlich hervorhebt. Ankreiden kann man dem Film sicherlich seine gegen Ende etwas krude Handlung (und ich persönlich die kalte Atmosphäre), aber zugegebenermaßen kommt es bei einem Film von Argento weniger auf die logische Handlung an. Wer mit blutigen Mordszenen als Kunstform etwas anfangen kann, dem sei der Film ans Herz gelegt, auch wenn sich blutgeifernde Horrorfans wohl eher langweilen dürften.