“Einst lebten wir auf dem Land, dann lebten wir in den Städten, und von jetzt an leben wir im Netz!”, hält der stets im charismatischen Orakel-Ton daherredende Geschäftsmann Sean Parker (gespielt von Popstar Justin Timberlake) den Studenten-Nerds auf der Jubiläumsfeier anlässlich des millionsten Users der Internet-Plattform Facebook in David Finchers neuem Film “The Social Network” vor Augen. Mittlerweile zählt die Mutter aller sozialen Netzwerke an die 500 Millionen Mitglieder in 207 Ländern, wie es die für ein Biopic typischen Texttafeln im Abspann verraten. Der sonst eher düsteren, visionären Thriller-Stoffen zugeneigte Fincher (“Seven”, “Fight Club”, “Zodiac”) setzte dem Facebook-Gründer Mark Zuckerberg - zum Entstehungszeitpunkt des Films jüngster Self-made-Milliardär weltweit - ein rasant-aufregendes, stilsicheres Denkmal, und streift dabei en passant den Zeitgeist der schnelllebigen Generation der Nullerjahre, der trotz maximaler Transparenz durch Globalisierung und digitale Vernetzung der Ruf des Kommunikationsscheuen anhaftet.
Nachdem seine Freundin Erica (Rooney Mara) mit ihm Schluss gemacht hat, setzt sich der damals 20-jährige Harvard-Student Mark Zuckerberg (Jesse Eisenberg) im Herbst 2003 mit Wut im Bauch an seinen Rechner und startet den Entwurf einer eigenen Website, auf der die Nutzer Kommilitoninnen nach ihrem Aussehen bewerten können. Wegen Verletzung des Datenschutzgesetzes und der Verbreitung digitalisiert
er Bilder wird Zuckerberg zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Wenig später jedoch landet er den großen Wurf, als er mit seinem Mitbewohner Eduardo Severin (Andrew Garfield) die Idee der aristokratischen Winklevoss-Brüder (beide gespielt von Armie Hammer) mit Namen “Harvard Connection” aufgreift und darauf basierend das soziale Netzwerk “TheFacebook” (zunächst noch mit Artikel) entwickelt, das sich in kürzester Zeit epidemisch über das gesamte Land - und bald sogar darüber hinaus - ausbreitet…
Facebook ist eine Erfolgsstory im Hyper-Zeitraffer. Im Grunde genommen entstanden aus einer durch private Hintergründe begünstigten Rache-Kurzschlussreaktion heraus, entwickelte sich das Projekt schnell und kontinuierlich über die Grenzen des Campus hinweg zum innovativen Phänomen und festen Bestandteil moderner internationaler Haushalte. Fincher erzählt die Biografie des Initiators der Plattform, der Schöpfergeist und Skrupellosigkeit in sich vereint, realitätsgetreu nach, ohne den Zuschauer mit der bloßen Aneinanderreihung von historischen Haltepunkten zu unter-, bzw. einer zu hohen Dichte an Fakten zu über-fordern. Dynamisch prescht er nach vorne, und nimmt anhand der zwischengeschnittenen Sequenzen vom Verlauf des Rechtsstreits, in den Zuckerberg infolge des Vorwurfs des Diebstahls von geistigem Eigentum verwickelt wurde, verschiedene Perspektivwechsel vor, ohne selbst Stellung zu nehmen. Zuckerbergs Genie erlaubte es ihm, die Seite schneller und erfolgsversprechender zu programmieren als die überaus flüssige Konkurrenz. Es hat schon fast etwas von den Verhaltensweisen eines Asperger-Autisten, wie Zuckerberg - völlig in sein Projekt vertieft - mitten in der Vorlesung den Saal verlässt und dem Professor zwischen Tür und Angel gerade noch die Antworten auf die nur beiläufig aufgeschnappten Fragen entgegenschleudert.
Aaron Sorkins Drehbuch - basierend auf Ben Mezrichs Roman “Milliardär per Zufall: Die Gründung von Facebook - eine Geschichte über Sex, Geld, Freundschaft und Betrug” - begeistert vor allem durch seine präzise Beobachtung der Umgangssprachen; sowohl der pikfeinen, hochgestochen daherredenden Harvard-Studenten, als auch das Technikgefachsimpele der Computerprogrammierer und Hacker. Generell hervorzuheben ist die Dialogstärke des Films, die in ihren besten Momenten an den atemlosen Witz der Screwball-Komödien eines Frank Capra oder Billy Wilder erinnert. Exemplarisch hierfür steht der Prolog in einem Esslokal, in dem Zuckerberg Erica eine Standortbestimmung ihrer Beziehung “vorrechnet” und dabei seine intellektuelle Arroganz zur Schau stellt, wofür er prompt die Quittung bekommt. Jesse Eisenberg, der eine Zeit lang auf die Rolle des Losers in Filmen wie “Cursed” oder “Zombieland” abonniert war, liefert ohne prätentiöse Gesten eine zurecht Oscar-nominierte Performance ab, an der man regelrecht klebt, auch wenn man seinen Charakter ob seiner introvertierten, aber herablassenden Art und seines Tunnelblicks - auf nichts und niemanden außer seiner Geschäftsidee Wert zu legen - nicht gerade sympathisch finden kann. Andrew Garfield bleibt der Part des ausgenutzten Zimmerkumpanen, während Justin Timberlake als prophetenhafter Mitbegründer der Musiktauschbörse Napster überraschend groß aufspielt. Rooney Mara lässt in den wenigen Szenen, die sie hat, zumindest aufblitzen, dass sie das Zeug dazu hat, die Hauptrolle der soziopathischen Punk-Hackerin im US-Remake des Stieg-Larsson-Bestsellers “Verblendung” auszufüllen.
Bis zu einem gewissen Punkt lässt sich Finchers Darstellung der Hierarchien, Verknüpfungen und Verlinkungen innerhalb eines Systems - hier des Systems der New Economy, der Webstrategen, (Internet-)Unternehmer und Investoren - mit der eines Martin Scorsese vergleichen. Nachdem Zuckerberg seinen CFO Eduardo, der ihm mit der Bereitstellung des Startkapitals erst den Einstieg ins Business ermöglicht hatte, im Laufe einer Anteil-Debatte Hals über Kopf gefeuert hat, expandiert er und zieht mit seiner Firma (auf Anraten Sean Parkers) ins kalifornische Silicon Valley um. Jedoch: An Geld oder großem Gewinn ist Zuckerberg nicht interessiert. Käufern wie Microsoft gibt er seine technischen Entwürfe umsonst frei. Er ist von seiner Idee, seinem Konzept besessen, er will etwas schaffen, worauf
sein Name steht. Im Chaos aus Bits und Bytes behält er den Überblick. Das einzige “luxuriöse” Anhängsel in Zuckerbergs bescheidenem Leben ohne Überfluss und/oder Drogenkonsum sind die asiatischen Victoria`s Secret-Models, denen er jedoch auch nur am Rande Beachtung schenkt.
Als Urheber eines solchen sozialen Netzwerkes wie Facebook hat Zuckerberg ironischerweise überhaupt keine Ahnung davon, wie soziale Interaktion funktioniert. Und es drängt sich der Gedanke auf, dass er die auch gar nicht haben muss. Sein nach simpelstem “Ich will mit dir befreundet sein”-Schema aufgebautes Kommunikationssystem aus Personenprofilen und Listen ausgesuchter, zum Teil flüchtiger Bekanntschaften lässt Freundschaft zum anonymisierenden Wettbewerb mit Suchtpotential verkommen, als dessen Ursprung und Triebfeder Finchers Werk den voyeuristischen Leitgedanke enthüllt, anhand der Angabe des Beziehungsstatus` quasi pausenlos über das Liebesleben anderer informiert zu sein. Fincher leistet mit seiner Mischung aus Millenium Generation-Porträt und Biopic über eine durch und durch zwiespältige Persönlichkeit einen cineastisch unverzichtbaren Beitrag zu einem brandaktuellen Thema. Zuckerberg, der seinen Blick nur stur geradeaus richtet, wirkt nur einmal reuig, fast bedauernd: Wenn er am Schluss die Seite seiner Ex Erica aufruft und die Beatles dazu die entsprechende Tonspur liefern, die seine Zweifel am Erreichten gleich wieder zerstreuen sollten:
“Baby, you`re a rich man…”