Nach heftigen Winterstürmen und dem Wetterchaos eines viel zu warmen Winters ist die Diskussion um Treibhauseffekt und globale Erderwärmung wieder topaktuell. Die Medien berichten fast täglich davon, strahlen in der Hauptabendzeit Dokumentationen über den Klimawandel aus, und auch in der Politik ist der Umweltschutz abermals eine Streitfrage.
Alle – nicht nur die Politiker – sind sich einig, dass der vom Menschen verursachte Klimawandel etwas ganz Verwerfliches und Schlimmes sei, und behaupten man müsse unbedingt etwas dagegen tun. Doch (fast) niemand ist bereit den ersten Schritt zu machen. Jeder fährt weiter bequem mit seinem Auto zur Arbeit, bucht seine Flüge, und auf politischer Ebene scheint kein wirkliches Interesse zu bestehen CO2-Ausstoß und Energieverbrauch zu dezimieren oder die öffentlichen Verkehrsmittel auszubauen und attraktiver zu gestalten.
Das Schimpfen über uns egoistische und die Natur zerstörende Menschen ist zu einer hohlen Floskel geworden und gehört mittlerweile zum Small Talk jeder Cocktailparty, wahrscheinlich wie bei allen „unbequemen Wahrheiten“ um das eigene Gewissen zu beruhigen und das hochkomplexe Dilemma zu verdrängen.
Auch der demokratische Ex-Präsidentschaftskandidat Al Gore hat sich dem Umweltschutz verschrieben und eine weltweite Aufklärungskampagne gestartet. Mit seiner „Dokumentation“ will er durch das Medium Kino möglichst viele Menschen erreichen und in deren Bewusstsein etwas ve
rändern.
In dem Film, der als eine multimediale Live-Show inszeniert wird, erinnert uns der ehemalige Vizepräsident der USA, dass die durch den Menschen bedingte Erderwärmung die größte auf uns zukommende Katastrophe, die wir nur durch sofortige und radikale Verbesserungsmaßnahmen und einem Umdenken noch aufhalten können, sein wird. Um sein Anliegen und das unangenehme Thema besser zu visualisieren, arbeitet der Politiker mit Diagrammen, Animationen, Schautafeln, Fotodokumentationen, Kurzfilmen und vielen anderen Mitteln.
Über die Qualität seines Beitrages ließe sich bestimmt lange streiten. „Eine unbequeme Wahrheit“ ist auf alle Fälle keine sachliche Dokumentation, hat aber viel mehr Niveau als Michael Moores politische Propagandafilme „Bowling For Columbine“ oder „Fahrenheit 9/11“, welche „Wahrheiten“ mit Spekulationen vermischten und diese als Tatsachen hinstellten.
Gores Film hingegen ist - wenn auch auf einer sehr populärwissenschaftlichen Ebene - sehr informativ und um Daten und Fakten bemüht, wenn auch die endlosen Diagramme und Statistiken, die man ohnehin als umweltpolitisch interessierter Mensch bereits kennt, den Film zeitweise sehr langatmig werden lassen.
Darüber hinaus ist alles auf Gores charismatischen Vortrag angelegt, was den Kinogeher schon bald nervt. Dank boshafter Animationseinlagen, die den Vortrag durch schwarzen Humor und bittere Ironie etwas auflockern und uns wohl am längsten in Erinnerung bleiben werden, wird man aber dann doch motiviert sich den Film weiter anzusehen.
Die Seitenhiebe auf Gores politische Gegner halten sich zwar in Grenzen, dafür stören diese wenigen dann um so mehr. Wenn der Demokrat sich der Thematisierung seiner angeblich unrechten Wahlniederlage gegen George Bush im Jahr 2000 nicht enthalten kann und diese in seine Show einbaut, wird deutlich, dass er seine persönlichen Verletzungen noch nicht verarbeitet hat und auf diese Weise eine kleine Rechnung mit dem Wahlsieger begleichen möchte.
Der Fairness halber muss man aber festhalten, dass Gore, wenn er behauptet es gäbe auch auf Seiten der Republikaner Politiker, die sich dem Umweltschutz verschrieben haben, dafür aber in den Reihen der Demokraten solche, denen die Umwelt egal sei, durchaus sehr kritisch differenzieren kann – wenn er will.
Als Meister der amerikanischen Redekunst, von der sich so manch anderer Politiker eine dicke Scheibe abschneiden könnte, neigt Gore zu sehr zur Selbstinszenierung (wer möchte kann sich den Film ja zweimal ansehen, um sich auf diese Weise die Kosten eines Rhetorikkurses zu ersparen). Die Rückblenden auf seinen persönlichen Werdegang zum Umweltschützer und die Darstellung seines Lebenslaufes sowie der Unfall seines Sohns werden so naiv, emotional und theatralisch inszeniert, dass es geradezu peinlich ist. Darüber hinaus ziehen sie den Film unnötig in die Länge zumal sie für die Sensibilisierung auf die Umweltpolitik keine Rolle spielen.
Natürlich kann auch der Politiker selbst kein völlig umweltschonendes Leben führen. Der Film zeigt ihn häufig in seinem breiten amerikanischen Schlitten thronend oder im Flugzeug sitzend. Vielleicht ist das in einem Beitrag, der sich gegen den Treibhauseffekt richtet, nicht sonderlich vorbildlich und geschickt, zumindest aber sehr ehrlich (oder ganz dumm!!).
Trotzdem möchte ich Gore nichts Schlechtes unterstellen (mit Motivverdächtigen muss man schließlich sehr vorsichtig sein) und glaube ihm durchaus, dass ihm Umweltschutz ein großes Anliegen ist.
Im Gesamteindruck ist „Eine unbequeme Wahrheit“ aufgrund seines Live-Show Charakters einseitig und langweilig umgesetzt und wird wohl bei den meisten Zusehern, abgesehen von Animationen und moralisierenden Floskeln, wenig hinterlassen.
Bei so viel Selbstdarstellung und Eigenwerbung als Saubermann werden Gores Kampf gegen den Klimawandel und die umweltpolitische Botschaft unglaubwürdig. Da können die platten Verhaltensregeln und Imperative während des Abspanns, die an einen Ratgeber für Kinder im Grundschulalter erinnern, auch nicht darüber hinwegtäuschen. Schade – bei solch einer brisanten Thematik. Trotzdem wünsche ich dem überzeugend auftretenden Politiker und uns allen viel Glück!