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Calvaire - Tortur des Wahnsinns

Calvaire - Tortur des Wahnsinns

Ein Film von Fabrice Du Welz

Immer wieder kommen kleine aber beachtenswerte Genre-Werke aus Ländern, die man eher weniger mit der Produktion solcher Filme in Verbindung bringen würde.

Bei Dänemark zum Beispiel fällt einem zwar sofort die „Dogma“-Bewegung rund um den Regisseur Lars von Trier ein, aber man sollte auch nicht vergessen, dass 1994 mit Ole Bornedals „Nightwatch – Nachtwache“ der vielleicht beste Horrorthriller seines Jahrgangs in eben diesem Land entstanden ist.

Und auch Belgien hat zehn Jahre später mit dem hier vorliegenden „Calvaire“ einen sehr unangenehmen und experimentellen Film vorgelegt, den man im etwas weiteren Sinne auch der Kategorie „Horror“ zuordnen kann.

Dabei ist der Spielfilm-Erstling von Fabrice Du Welz allerdings äußerst subtil gehalten und hat für Freunde von Blut und Gedärmen so gar nichts zu bieten. Das nur vorweg - als Warnung für alle Splatterfans…
Du Welz erzählt hier die Geschichte von Marc Stevens, der sich als Sänger bei Veranstaltungen in Altersheimen und zu anderen Anlässen ein wenig Geld verdient, und so in seinem Bulli von Ort zu Ort und von Auftrag zu Auftrag zieht.
Obwohl es der junge Mann nur als Job betrachtet, vor den fremden Leuten zu singen, sehen diese in ihm mehr als den Entertainer, und es kommt vor, dass ihm sogar alte Frauen sexuelle Angebote unterbreiten, und er in seinem Gehaltsumschlag Nacktfotos vorfindet.

Auf der Fahrt zu einer Weihnachtsgala bleibt sein Wagen nachts mitten im Wald in einer verlassenen Gegend stehen. Zum Glück läuft ihm der aufgewühlte Boris (Jean-Luc Couchard) über den Weg, der sich auf der verzweifelten Suche nach seiner Hündin Bella befindet und Marc zu dem eigentlich geschlossenen Gasthof von Monsieur Bartel (Jackie Berroyer) führt.
Trotz der nächtlichen Störung entpuppt sich Bartel als die Freundlichkeit in Person und schleppt am nächsten Tag sogar das Fahrzeug des Sängers ab. Auch er sei vorher ein Künstler gewesen, berichtet der redselige Bartel Marc, bevor er diesem verspricht, ihm sogar den Bulli bis zum nächsten Tag wieder startklar zu machen.
Er erzählt Marc auch von seiner Frau Gloria und dass er, seitdem sie ihn verlassen hat, keine Muße mehr habe, seiner vorherigen Aufgabe als Komiker nachzukommen.

Als die Reparatur des Wagens Tage später immer noch nicht abgeschlossen ist, beginnt Marc langsam ungeduldig zu werden.
Doch Bartel, der in dem Sänger die Wiederkehr seiner Gloria sieht, will seinen einzigen Gast nicht mehr gehen lassen…

Die düsteren und trostlosen Bilder, die von Kameramann Benoît Debie („Irreversible“, „The Card Player“) sehr gekonnt eingefangen worden sind, stellen wahrscheinlich das Element von „Calvaire“ dar, das sich nach dem Ansehen am stärksten im Gedächtnis des Zuschauers festbrennen wird.
Calvaire - Tortur des WahnsinnsCalvaire - Tortur des WahnsinnsCalvaire - Tortur des Wahnsinns
Nach Verlassen des Altersheims begibt sich Marc - allein durch die visuelle Gestaltung - in eine fast schon andere Welt, die noch deprimierender als seine vorherige Realität anmutet.

Obwohl der deutsche Untertitel „Tortur des Wahnsinns“ vermutlich wieder zum Anlocken des üblichen Videotheken-Klientels zugefügt worden ist, weist er - zwar etwas pragmatisch – letztendlich aber doch recht treffend auf den späteren Handlungsverlauf hin.
Denn man muss das, was Marc da in der zweiten Filmhälfte durchmacht durchaus als Tortur bezeichnen und sein Ausflug in die unbekannte Gegend ist zugleich ein Ausflug in den menschlichen Wahnsinn.

Dabei lässt Fabrice Du Welz sein Werk zunächst sehr harmonisch und übersichtlich beginnen: Der Zuschauer ahnt, natürlich schon vorgewarnt von den beunruhigenden Aufnahmen, dass mit dem etwas zu euphorischen Bartel etwas nicht stimmen kann und wer außerdem Rob Reiners Stephen King-Verfilmung „Misery“ (1990) gesehen hat, wird bereits die Folgen von Marcs Autopanne in etwa abschätzen können.
Allerdings entwickelt sich die anfangs nur stellenweise abgründige Story zum Ende hin in einen völlig irrsinnigen, surrealen Albtraum.

Dazu sollte auch angefügt werden, dass hinter „Calvaire“ mehr steckt, als es zunächst den Anschein hat. So gibt der Regisseur selbst an, dass es in dem Film im Prinzip nur die zwei Hauptfiguren gibt, während alle übrigen Charaktere nur Variationen vom kranken Bartel darstellen und sich insofern gleichen, als dass jeder von ihnen verrückt nach dem jungen Sänger ist – so zum Beispiel auch die Altenpflegerin zu Beginn.
Lässt sich das Werk deshalb als stockfinstere, verdrehte Liebesgeschichte zusammenfassen, die sich über Körper, Alter und Geschlecht hinwegsetzt? Zumindest käme das dem Kern wohl recht nahe - Liebe als Folter für den unwilligen Empfänger, sozusagen.

Auffällig ist bei Du Welz´ Film außerdem, dass er bis auf eine völlig verstörende Piano-Einlage in einer Kneipe fast gänzlich ohne Musik auskommt, was die schon düstere Atmosphäre noch beklemmender wirken lässt.
Gegen Ende werden mit einer eindeutigen Hommage an die Dinner-Szene aus Tobe Hoopers „Blutgericht in Texas“ (1974) die Nerven der Zuschauer blank gelegt, bevor das Werk in der rauen Natur endet und auch seinem Titel (Calvaire = Kalvarienberg, die Hinrichtungsstätte Jesu Christi) noch einmal bildlich Rechnung trägt.
Calvaire - Tortur des WahnsinnsCalvaire - Tortur des WahnsinnsCalvaire - Tortur des Wahnsinns
Alles in Allem hat Fabrice Du Welz eine zwar sperrige, aber dafür sehr interessante Reise in menschliche Abgründe unternommen, der sich anspruchsvollere Horror- oder Psychothriller-Freunde durchaus mal anschließen können.

An einem sonnigen Nachmittag sollte man „Calvaire“ allerdings meiden…

Eine Rezension von Bastian G.
(20. Februar 2009)
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Daten zum Film
Calvaire - Tortur des Wahnsinns Belgien, Frankreich, Luxemburg 2004
(Calvaire)
Regie Fabrice Du Welz Drehbuch Fabrice Du Welz & Romain Protat
Produktion Studio Canal, The Film, Backup Films, Tarantula, La Parti Productions, Télédistributeurs Wallons Kamera Benoît Debie
Darsteller Laurent Lucas, Jackie Berroyer, Jean-Luc Couchard, Philippe Nahon, Brigitte Lahaie, Gigi Coursigny, Philippe Grand'Henry, Jo Prestia, Marc Lefebvre, Alfred David, Alain Delaunois, Vincent Cahay
Länge 88 min. FSK ab 18 Jahren
Filmmusik Vincent Cahay
Englischer Titel: "The Ordeal"
Kommentare zu dieser Kritik
Mickey Knox sagte am 25.01.2010 um 18:22 Uhr

Calvaire ist ein herausragender, surreal-alptraumhafte Backwood-Horror-Groteske mit verrückten Figuren und einer wunderbaren Hommage an die Dinnerszene aus TCM.Vor allem die Klavierszene im Lokal wird man nicht so schnell wieder vergessen.Meiner Meinung nach kommen seit einigen Jahren , die besten, und vor allem innovativsten Horrorfilme aus dem guten alten Europa.Werde mir demnächst "Vinyan" anschauen.
Bartel sagte am 17.10.2010 um 02:55 Uhr

Franz-Mann, hat Schwanz-Mann im Dickdarm:

Endlich!!! Endlich wieder, eines von der Masse nicht gerne gesehendes Genre, dass einen das "Hosentürle" sprengt ohne
selbst Hand anlegen zu müssen.

Der Film handelt von einen Franzosen der seinem
Hetero-Dasein ein für allemal den Rücken kehren muss!!!.
Er (Name v. Red. geändert) sehnt sich nach bäuerlichen Nächstenliebe alla Hansi Hinterseher
die er aus TV-Serien deutscher Herkunft kennt. Da er kein CSU-
Mitglied ist und Bayern seine strenge Einwanderungsgesetzte auf Ausländer ausübt, sucht Er sein Glück mit seinem besten Stück, im der jungfräulichen perversen französischen Backwood-Community. Angekommen machen in die allesamt männlichen und tierischen Leidensgenossen schnell klar, daß Sie offen für alles sind. Aufnahmerituale alla "Frühschoppen mit Penis im
Kalbe" oder Sportarten wie "Saustall, Hosenstall " begeistern
und gefallen, und lassen die Schauspieler zu denkwürdigen und
menschlichen Wesen werden wie man es seit Transforners nicht mehr gesehen hat. Die Musik-Titel dieses ( trau mich es gar nicht laut zu sagen) '"Klassikers" reicht von "Muhh, steck in mir rein" bis "Muhh, zieh in wieder raus".
Am Ende nimmt der Film jedoch ein tragisches Ende, da er aus ist.!!!Bleibt beim Abspann nur noch der Griff in die Hose um dieses" gute Gefühl" dass bei Sichtung dieses St(r)eifen allgegenwärtig war, für noch min. 5min zur erhalten.
5 Minutnen die für alle Liebhaber des Französischen-Schwulen- Films zur Ewigkeit werden können.
Bastian TEAM sagte am 18.10.2010 um 22:49 Uhr

Ähm ja - natürlich soll jeder den Film auch auf seine eigene Weise "genießen" dürfen...
Zombie-mower TEAM sagte am 21.08.2011 um 18:36 Uhr

Meiner Meinung trifft die Kritik des Rezensenten sehr gut die Wirkungsweise und die Raffinesse der Produktion von "Calvaire".
Selten habe ich einen so originellen und unaufdringlichen, dabei mit minimalistischen Stilmitteln eine wuchtige Wirkung erreichenden Film gesehen.
"Calvaire" geht unter die Haut und schafft den Zuschauer in den Bann zu schlagen. Die erste Stunde des Films ist wirklich ein Highlight im psychologischen Horror und kommt seinem Vorbild - Hitchcocks "Psycho" - in Hinsicht beklemmender Wirkung und origineller Erzählweise sehr nahe.
Die suggestiven Stilmittel (von Beginn zahlreiche subtilen Andeutungen von dem später ausbrechenden Terror) und die erschreckend wirkungsvolle Gewaltdarstellung erreichen beim Zuschauer was sie zu erreichen trachten.

Der Film ist aus 2004, schaut aber optisch aus wie aus den 70ern, offenbar dem zweiten Vorbild Tobe Hoopers "Texas Chainsaw Massacre" nachgeeifert.

Also in der Hinsicht kann ich nur positives anmerken.

Leider fällt die straffangezogene Spannungsschraube in den letzen 20 Minuten ziemlich ab, da sich wie schon in der Kritik erwähnt der Regisseur entschieden hat die Handlung in Chaos auslaufen zu lassen. Das schmälert meiner Meinung nach das Gesamtbild des Films.

Philippe Nahon (der brillante Darsteller aus "Menschenfeind" und "Haute Tension") bekommt leider eine uninteressante, nicht herausfordernde Rolle. Schade auch darum.

Zum Schluss muss ich auch anmerken: ich kann den Film eigentlich nicht wirklich empfehlen, da er ziemlich runter zieht und eine sehr nihilistische Schiene fährt. Die Inszenierung wurde mit keinem tropfen Humor versehen und entbehrt damit jeglichen Unterhaltungsfaktor.
Ein deprimierendes, sehr wirkungsvolles, fast peferktes Horror-Drama ist "Calvaire" aber alle mal.
Bartel sagte am 21.08.2011 um 23:08 Uhr

Humorlos? Das finde ich keineswegs.Vielleicht ist meine Humorauffassung ein klein wenig abgründig, aber eben die komplette erste Stunde ist meiner Meinung nach von einem abgründigen, bizarren Humor durchzogen, der sich durch Jackie Berroyers geniales Spiel zieht.
Die Rolle des Bartels (und eben die Representation durch Berroyer)ist schlichtweg das Großartigste was man in den letzten Jahren im sogenannten Genrekino sehen konnte.
Obwohl ich Calvaire ungern in diese Sparte stelle weil er einfach so schwer greifbar ist in all seiner makaberen Faszination. Die (angeblich komplett improvisierte) Tanzsequenz wird mich noch auf dem Sterbebett verfolgen!
Fabrice du Welz ist eines von Europas unterschätzten Regiewunderkinder nur das dies eben die wenigsten wissen und es dem Wunderkind eigentlich schnuppe ist....
Dieses will ja sowieso nur spielen und braucht keinem der ihm dann versuchen will sein eigenes Spiel beizubringen!

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