Üblicherweise zeigt sich eine ordentliche Spur Patriotismus, wenn es deutsche Filmschaffende nach Hollywood schaffen. Wolfgang Petersen beispielsweise, der trotz jahrelanger US-Blockbuster immer noch unser Wolle bleibt. Auch Roland Emmerich, dessen Filme wir zwar gerne für ihre schlichten Handlungen belächeln, aber den wir trotzdem immer noch liebevoll den Spielberg aus Sindelfingen nennen - es sei ihm der Erfolg ja gegönnt. Meine Gute, selbst Jürgen Prochnow wird für seine internationale Karriere von uns immer noch gerne mal bewundert, auch wenn die größtenteils darin besteht, in finsteren B-Movies ebenso dreinzuschauen.
Umso bemerkenswerter die Reaktion auf Florian Henckel von Donnersmarcks Zug nach L.A., den er infolge der Oscar-Auszeichnung seines Erstlings DAS LEBEN DER ANDEREN antreten durfte: Für seinen zweiten Film, ein $100-Mio.-Starvehikel namens THE TOURIST, durfte Florian nichts außer einer Flutwelle an Häme einstecken. Man spürt förmlich den Wunsch der Leute, den Großkotz mit der festgeschraubten Goldstatue in der Hand wieder auf den Boden zurückzuholen - da sieht man durchaus, wieviel Wohlwollen der gute Mann flugs vernichtet hat mit seinen Geschichten über den Bildungsauftrag des Adels und seine Verwandschaft zu Goethe, und natürlich auch mit seiner Antwort auf Spielbergs augenzwinkernde Oscargratulation: "You'll never get over th
is", hat ihm der bärtige Starregisseur da schelmisch gesagt, und Florian erläutert nun, daß Spielberg wohl viel mehr Wert auf Preise lege als er selbst. Oh ja, der adlige Herr nimmt sich selbst sehr ernst und wichtig.
THE TOURIST versteht sich als elegante Krimikomödie im klassischen Hollywood-Stil - als Neuauflage von Klassikern wie CHARADE oder ÜBER DEN DÄCHERN VON NIZZA, wo Stars souverän vor mondäner Kulisse durch Spionage- und Kriminalhandlungen gleiten und dabei Romanzen und Abenteuer mit Augenzwinkern und Charme erleben. Das Problem: Die alten Klassiker hatten Witz und Klasse - THE TOURIST hat schöne Bilder und einen Berg Geld.
Die Geschichte dreht sich um einen Millionenraub, bei dem einem Gangster viel Geld von einem Mitarbeiter gestohlen wurde, der jetzt untergetaucht ist, wahrscheinlich Aussehen und Auftreten komplett verändert hat und von Interpol und Scotland Yard seit langer Zeit vergeblich gejagt wird. Die Freundin des Diebes (Angelina Jolie) soll sich in Venedig mit ihm treffen und zur Ablenkung einen Mann auftun, von dem die Behörden glauben sollen, es sei der Millionendieb. So wird also ein unwissender Mathematiklehrer (Johnny Depp) von ihr im Zug angesprochen und in den komplizierten Kriminalfall verwickelt.
Das größte Problem von THE TOURIST ist die Besetzung, und das beschädigt so ein schönes Starvehikel nun einmal von vorn bis hinten. Der sonst so kreative und spannende Johnny Depp sieht hier aus wie Fisher Stevens, spielt den zufällig Involvierten aber als so antriebslosen Waschlappen, daß er selbst in den Momenten, wo er Jolie begehren soll, so passiv wirkt, als würde er gar nicht wirklich mitspielen. Schlimmer noch ist die Tatsache, daß er die Rolle mit gedankenverlorenem Ernst spielt, obwohl diese Art von Film eigentlich Esprit und subtiles komisches Timing verlangt. Wenn Johnny der Jolie das Kompliment unterbreitet, sie sei "the least down-to-earth person I've ever met", sollte da etwas Freches mitklingen, etwas Herausforderndes und Spielerisches - aber Johnny spricht, als wäre er in einem Beziehungsdrama. Ganz zu schweigen von den kleinen Gags wie der Tatsache, daß die Figur "Bon jovi" statt "bongiorno" sagt und beständig holpriges Spanisch mit den Italienern spricht (die dann auch auf Spanisch antworten) - all diese Leichtigkeit verpufft mit Depps schwerem Ernst, und man wünscht sich beständig einen Schauspieler wie Tom Hanks in der Rolle, der nicht nur den Witz auskosten würde, sondern mit seinem Jimmy-Stewart-Typ auch glaubwürdiger und passender wäre für diese Art von Film.
Jolie schneidet leider kaum besser ab. Daß ihre Figur so leblos wirkt, mag schon alleine daran liegen, daß Angelina im gesamten Film ungefähr dreieinhalb mal blinzelt. Auch sie wirkt, als würde sie eigentlich gar nicht teilnehmen, als würde sie nur im Bild herumstehen und den Ausdruck auf morgen verschieben - und dabei schafft sie es, gerade in der ersten Filmhälfte auch stets so auszusehen, als würde sie auf Applaus für ihre strahlende Schönheit warten. Wieviel besser wäre jemand wie Catherine Zeta-Jones in der Rolle gewesen - eine viel klassischere Schöne passend zum Genre, und gleichzeitig eine Schauspielerin, die mit Funkeln im Auge Wortgefechte mit ihrem Gegenüber ausgetragen hätte. So bleibt denn auch die Beziehung zwischen Depp und Jolie völlig leer - schon beim Kennenlernen schubst sie den Mathelulli einfach nur dumm umher ("Frank? Das ist ein schrecklicher Name"), und er läßt es sich wohl einfach nur deswegen gefallen, weil er sich ja sonst bewegen müßte. Ganz ehrlich, die beiden zusammen haben weniger Chemie als ein Naturkostladen.
So hangelt sich also THE TOURIST durch die ohnehin irrelevante Geschichte, ohne je aufzuregen - es gibt eine Verfolgungsjagd über die Dächer von Venedig (wo Komponist James Newton Howard glaubt, daß jetzt der große Jason-Bourne-Elektro-Streicher-Score gefragt ist), eine gemütliche Bootsverfolgungsjagd bei Nacht zu malerischen Aufnahmen nebliger Gassen, einen steif gefilmten Ball, und ein wenig Hin und Her mit Agent Paul Bettany, Interpol-Chef Timothy Dalton und Gangsterboß Steven Berkoff (der den Bösewicht mit mittlerweile fast doppelt so breitem Kopf als noch vor 26 Jahren in BEVERLY HILLS COP gibt), bei dem man sich immer freut, die guten Nebendarsteller zu sehen, und sich gleichzeitig wundert, warum der Film mit ihnen trotzdem nie punkten kann.
Nein, der TOURIST ist kein Totalausfall. Aber er ist eine Fehlkalkulation, die mit Aufwand und schönen Bildern nicht überzeugend darüber hinwegtäuschen kann, daß eigentlich nur gepflegte Langeweile inszeniert wird. Schade, Florian. Aber wenn du dich über die Reaktionen wunderst, dann frag doch noch mal Spielberg, was genau er dir nun eigentlich sagen wollte.