TÄUSCHGESCHÄFT
Dass sie toughe Rollen zu verkörpern weiß, zeigte sich schon ganz zu Beginn ihrer Karriere im vielgelobten Drama „
Winter`s Bone“ [2010], doch spätestens ihre Verkörperung der Katniss Everdeen in der Bestseller-Verfilmung „
Die Tribute von Panem - The Hunger Games“ [2012] (der noch drei Fortsetzungen folgen sollten) ließ
Jennifer Lawrence in den erlauchten Kreis der vielversprechendsten und aufstrebenden Talente Hollywoods eintreten. Mittlerweile verdientermaßen mit dem Oscar ausgezeichnet, kann sich die junge Aktrice über mangelnde Rollenangebote wahrlich nicht beklagen und bereichert nicht nur Prestigeprojekte wie zuletzt Darren Aronofskys Aneck-Metapher „mother!“ [2017] regelmäßig mit ihrer Präsenz.
Weniger aneckend, dafür umso rabiater kommt sie nun in der Bestseller-Adapation
„RED SPARROW“ (nach der gleichnamigen Buch-Vorlage von
Jason Matthews) daher. Als ausgebildete Geheimagentin, einem sogenannten „roten Spatz“, soll sie im Russland der Putin-Administrative für den Geheimdienst an den Namen eines amerikanischen Maulwurfs in der Regierung gelangen. Hierzu heftet sie sich an die Fersen des CIA-Agenten Nathaniel Nash (Joel Edgerton), worauf ein brisant-gefährliches Katz-und-Maus-
Spiel in Gang gesetzt wird. Wer wird dieses Spiel der Täuschungen am Ende überleben?
Verführerisch wie nie, dabei aber ebenso roh (in ihrer Handhabe) wie zerbrechlich (in ihrem Seelenleben), legt Jennifer Lawrence den Charakter der unter tragischen Umständen gestrauchelten Balletttänzerin Dominika Egorova als ambivalente, starke Persönlichkeit an, die für das Wohl ihrer kranken Mutter ihren Körper zwar mehr oder minder spontan an die Regierung verkauft, trotz allem aber immer noch Herrin der Lage bleibt. In überraschend freizügigen Szenen, die dank der formidablen Kameraarbeit von
Jo Willems aber niemals in bloßem, effektheischerischem Voyeurismus münden, setzt Regisseur Lawrence auf der Meta-Ebene des Films gar einen interessanten Gegenkommentar zur grassierenden Sexismus-Debatte, indem er die vermeintlichen Machtverhältnisse kurzerhand (und für jedermann erkennbar) umdreht. Die Phrase
„Mein Körper gehört zu mir“ wird so zum Quasi-Aufhänger dieses Spionage-Thrillers, der seine Spannung weniger aus der wendungsreichen Geschichte als vielmehr aus der die Protagonisten antreibenden Dramatik und der daraus resultierenden Figurenzeichnung bezieht. Beispiel Dominika: Nicht etwa ihr Körper, sondern ihr Verstand entwickelt sich mit fortschreitender Handlung zur Waffe in dem manipulativen Spiel der Täuschungen, auf das sie sich hier mehr oder minder einlässt. Und das bedeutet Macht nebst Kontrolle, sowohl über sich selbst als auch über jene, die davon ausgingen, sie am Schlawittchen zu haben.
Inwieweit der aufstrebend-sympathische Kontaktmann Nash nur einen weiteren, leicht zu opfernden Bauern auf dem Schachbrett der Mächtigen darstellt – verfolgt er gar eigene Ziele? –, erhöht die stets unterschwellige Spannung in diesem an Finten und falschen Fährten nicht armen Thriller zusätzlich. Da wirken die vereinzelt eingestreuten Gewaltspitzen, die wir in dieser drastischen Deutlichkeit eher nicht in einer FSK 16-Produktion erwartet hätten, fast schon etwas fehl am Platz, zwischen all den dialogreichen Passagen und ausufernden Geheimdienstgeplänkeln. Immerhin, sie verfehlen ihre abstoßende Wirkung nicht, weshalb zartbesaitetere Kinobesucher ausdrücklich vorgewarnt seien:
„RED SPARROW“ erkiest Gewalt zwar nicht zum bloßen Selbstzweck aus und fügt diese immer dem „roten Faden“ der Geschichte unter; wem aber die Vorstellung eines Sparschälers als Folterinstrument am lebenden Objekt allein schon zu viel ist, sollte wissen, worauf er sich einlässt. Zimperlich geht es in der hier gezeigten Welt der Spionage und Doppelagenten keineswegs zu. Und auch im Dialogbereich, der den größten Teil des Films ausmacht, wird kein Blatt vor den Mund genommen. Gerade Letzteres ist aber konsequent, erzählt
„RED SPARROW“ doch vom Manipulieren und Manipuliertwerden, benutzt die Sprache seiner Figuren (wie diese ja selbst auch) gezielt als Werkzeug, um Einfluss zu nehmen auf Sichtweisen und Perspektiven. Dies wird der geneigte Zuschauer spätestens am Ende des Films bemerken, wenn vorheriges Handeln der Figuren plötzlich in einem völlig anderem Licht erscheint und
„RED SPARROW“ uns reinen Wein einschenkt.
Dass dieser sich gewaschene Überraschungseffekt so gut wirkt und nicht etwa Forciertheit evoziert, liegt natürlich zum einen am durchdachten Skript von
Justin Haythe, der die Buchvorlage des Insiders Jason Matthews kinotauglich aufbereitet hat: Die 140 Minuten Laufzeit sind nie zu lang oder kurz, sondern vermitteln stets ein Gefühl von Kontrolle über den umfangreichen Stoff, was sich in akzentuierten Dialogen niederschlägt. Zum anderen hat
„RED SPARROW“ aber auch ein hochklassiges Schauspielensemble an seiner Seite, das nicht nur mit Lawrence in der toll gespielten weiblichen Hauptrolle glänzt. Auch
Joel Edgerton als männlicher Gegenpart auf der Seite der Amerikaner, sowie
Matthias Schoenaerts als böser Onkel,
Charlotte Rampling als kaltherzige Ausbilderin und der immer gern gesehene
Jeremy Irons wissen in ihren interessanten Nebenrollen zu überzeugen.
Mary-Louise Parker darf während ihrer wenigen Minuten sogar für die vielleicht einzigen echten Lacher in einem ansonsten brutal-düsteren Agentenreigen sorgen, der Drama und Thriller, Erotik und Gewalt zu einem auf den ersten Blick wilden, nichtsdestotrotz größtenteils leisen und unterkühlten Mix verquirlt, in dem der Mensch glücklicherweise mehr (er)zählt als eine Actionsequenz. Wie man sich doch täuschen kann.
Fazit: „RED SPARROW“ ist nicht die erwartete, atemlose Agenten-Hatz, sondern ein vielschichtiges, top gespieltes Thriller-Drama, das sich für eine Hollywoodproduktion dieses Kalibers hier und da ordentlich was traut. Und Jennifer Lawrence spielt alle an die Wand.
Cover: © 2018 Twentieth Century Fox