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Das Grauen kommt um 10

Das Grauen kommt um 10

Ein Film von Fred Walton

(USA, 1979)



„Have you checked the children?”



Ein weiterer Ruhmesstein im Schaffen deutscher Synchronisationskunst. Das Grauen kommt um 10. Nicht etwa um halb 10, oder dreiviertel 11. Nein, Punkt 10 Uhr auf die Minute wird es brenzlig. Preußische Pünktlichkeit. So was kann nur aus deutschen Köpfen kommen. When a Stranger Calls, so der Originaltitel, ist in den USA ein Klassiker des Teen Horrors, dessen narrative Gemeinplätze ins kulturelle Gedächtnis des Landes eingegangen sind (man denke hier an die erste Halloween-Episode der Simpsons). Hierzulande ist Fred Waltons Regiedebüt nicht einmal als DVD zu bekommen. Dabei kennt das schaurige „Haben Sie nach den Kindern gesehen?“ selbst hier fast jeder.

Dabei handelt es sich um einen Schocker, der in seinen starken Momenten zu dem besten zählt, was es in den Siebzigern gab. Ich sage starke Momente, weil es leider der schwachen auch einige gibt; doch stark und schwach sind in diesem Film sehr sauber voneinander getrennt.

Der erste Akt ist eindeutig der beste und – selbst heute noch – nervenaufreibend durch und durch. Weshalb es sich auch lohnt, ihn genüsslich und minutiös durchzugehen. Die junge Jill (Carol Kane) ist Babysitterin und passt an diesem Abend auf die Kinder eines Arztehepaares auf. Schon die ersten Bilder, die Straße und die langsam einbrechende Dunkelheit, atmen das Unheil, das sich anschleicht
. Es dauert nicht lange, da kommt der erste Anruf. „Haben Sie nach den Kindern gesehen?“ Jill legt auf. Dann der nächste Anruf. Die Gespräche werden immer unheimlicher und bedrohlicher. Jill ruft die Polizei an, der nette Sergeant am anderen Ende der Leitung verspricht, der Sache auf den Grund zu gehen und die nächsten Anrufe zurückzuverfolgen. Die kommen auch. Der Unbekannte atmet jetzt schwer: „Ich will mich… (kurz Pause) mit ihrem Blut bespritzen“. Fred Walton hat bis dahin ein kammerspielartiges Schreckensszenario entworfen, in dem jedes kleine Geräusch zu einem Indexzeichen der Gefahr wird, in dem das Ticken der großen Standuhr die Bedrohung ankündigt, die unaufhaltsam näher kommt.

Das Grauen kommt um 10Das Grauen kommt um 10Das Grauen kommt um 10
Dann der große Schock der Geschichte, der letzte Anruf des Sergeant, einer der unglaublichsten Überraschungseffekte des Thrillerkinos überhaupt: „Wir haben den Anruf zurückverfolgt, er kommt aus ihrem Haus!“ Dann geht es ganz schnell. Türknallen und Schritte aus dem Obergeschoss wo die Kinder schlafen. Carol schafft es zur Tür, dann kommt der Schnitt, der Schrei. In der nächsten irritierenden Einstellung ein alter Bekannter, Charles Durning als Lt. Clifford. Den Rest erfahren wir in seinem Dialog mit dem Sergeant. Jill hat es geschafft, die beiden Kinder nicht. Denn die waren eigentlich gemeint, mit dem Blutbespritzen. Die Leichen sind entstellt, die Ermittler sind fassungslos: „Mit seinen bloßen Händen…“

Was nun überrascht: dies sind erst die ersten zwanzig Minuten. Es sind genau die zwanzig Minuten, die den Kernbestand des Kultes, der Ikonographie und der Vermarktung dieses Films ausmachen. Doch da hängt doch noch so viel Film hinten dran. Und genau das ist das Problem. Walton hat fast sein ganzes Pulver in diesem ersten Part verschossen, so dass sich der "Rest" wie faules Beiwerk ausnimmt. Im zweiten Abschnitt ist Clifford ein seelisch zerrütteter Privatermittler, der die Bilder des Tatorts nicht vergessen kann. Der Killer, mit Namen Curt Duncan, ist sieben Jahre nach diesem Abend aus der Irrenanstalt entflohen. Gespielt wird er von Tony Beckley, bekannt aus The Italian Job (Charlie staubt Millionen ab, 1969), Get Carter (Jack rechnet ab, 1971) und Revenge Of The Pink Panther (Inspektor Clouseau: Der irre Flick mit dem heißen Blick, 1978), der nur ein Jahr später im Alter von 51 Jahren verstarb).

Der Schrecken verliert sofort seinen Schrecken, wenn wir sehen, wie heruntergekommen und armselig er aussehen kann. Sitzt versoffen in einer Bar, wird sogar fast verprügelt, versucht bei einer Kellnerin anzubandeln bzw. sie in ihrer Wohnung abzumurksen – beides gelingt ihm nicht. Clifford spürt ihn auf, jagt ihn, verfehlt ihn knapp. Dieser zweite Teil ist in allem das Gegenstück zum ersten, er macht die Spannung kaputt, bremst die mühsam in Gang gebrachte Handlungsdynamik und Konzentriertheit des ersten Abschnitts aus. Behäbig, langatmig und uninspiriert inszeniert. Man fragt sich ernsthaft, ob hier derselbe Regisseur hinter der Kamera gestanden haben kann. War Walton krank, musste ein unbegabter Praktikant dafür sorgen, dass der Zeitplan eingehalten wird? Es ist unerklärlich, wie jemand, der in den ersten zwanzig Minuten so viel Geschick bewiesen hat, sich einen solchen Qualitätseinbruch erlaubt. Und ich sage die ganze Zeit „Abschnitt“ oder „Teil“ - der Film ist mitnichten beabsichtigt in verschiedene Parts aufgeteilt, diese Kategorisierung drängt sich zwangsläufig auf. Man hat wirklich das Gefühl, zwei Filme zu sehen – einen großartigen und einen langweiligen.

Vielleicht sah Walton damals in der reinen Babysitterstory nicht genügend Quantität – und vielleicht hatte er damit nicht ganz unrecht. Denn die Frage, wie man so einen Plot über Spielfilmlänge am Leben halten kann, ist berechtigt. Und es ist bezeichnend, dass die Spannungskurve erst dann wieder nach oben zeigt, wenn die Geschichte im dritten Teil zurückfindet zu Jill und ihrem neuen Lebensabschnitt. Duncan dringt erneut in ihr Leben ein, und wieder muss Carol um ihr Leben und das ihrer Kinder kämpfen. Diese letzte Viertelstunde ist wieder auf dem Niveau des ersten Abschnitts. Auch nach heutigen Maßstäben sehr intensiv.

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Die letzte Einstellung zeigt Jills Haus, darüber Curt Duncans Silhouette. Das Thema ist nicht neu, trotzdem sehr packend umgesetzt. Duncan ist – auch hier wieder eine Parallele zu John Carpenters Halloween – auf seine Art ein Michael Myers. Eine Bedrohung, die in das intimste und heiligste eindringt, die eigenen vier Wände. Es geht wieder, wie zur Pionierszeit, um den Schutz von Haus und Hof gegen die Gefahr, das Böse. Natürlich geht Walton nicht gerade subtil zur Sache, man sieht es an der Figur des Curt Duncans, die keine psychologische Tiefe besitzt. Man erfährt nichts über seine Motive, seine Geschichte, oder den Ursprung seines Mordtriebes. Walton schien überhaupt wenig an Psychologisierung interessiert gewesen zu sein. Sein ökonomischer Inszenierungsstil ist von der Art, der sehr auf die Mechanik und Dynamik von Handlungen fixiert ist, und nicht viel Platz lässt für Innenansichten oder Reflexionen. Das kann man mit Oberflächlichkeit verwechseln. Aber das ist der Lauf der Dinge: was früher als Billigkino und sadistische Exploitation von Angstgefühlen bezeichnet wurde, dass lässt sich heute qualitativ hochwertig ansehen im Vergleich zu vielen modernen Werken des Genres, das zur Zeit eh unter galoppierender Kreativitätsverkalkung leidet.

Aber so was sollte man dem Film sowieso nicht vorwerfen. Er will doch nichts anderes sein als ein Horrorfilm. Und hätte sich Walton nicht, so spekulieren wir mal, während der Produktionsphase böse erkältet, hätte er einfach Teil 1 und 3 jeweils ein bisschen gestreckt, es wäre wahrlich Großartigstes dabei herausgesprungen.

When a Stranger Calls. Ein Beinahe-Klassiker, wenn man so will.

Eine Rezension von Gordon Gernand
(27. Mai 2007)
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Daten zum Film
Das Grauen kommt um 10 USA 1979
(When A Stranger Calls)
Regie Fred Walton Drehbuch Fred Walton, Steve Feke
Produktion Columbia Pictures Kamera Donald Peterman
Darsteller Charles Durning, Caron Kane, Tony Beckley
Länge 97 Min. FSK ab 16
Filmmusik Dana Kaproff
Der Film ist bislang nicht auf DVD in deutscher Sprache erhältlich.
Kommentare zu dieser Kritik
Bastian TEAM sagte am 28.05.2007 um 20:04 Uhr

Die Kritik bringt es genau auf den Punkt: Der Anfang des Films zerrt wahnsinnig an den Nerven während die zweite Hälfte auch zu einem "Großen TV-Roman" gepasst hätte...

Da muss ich sogar fast sagen dass mir das Remake "Unbekannter Anrufer" in Anbetracht der gesamten Spieldauer sogar besser gefallen hat, selbst wenn da alles auf zu modern getrimmt worden ist!

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