Die einsame Insel ist ein mythisches Sinnbild. Auf die oft gestellte Frage, welche Gegenstände man in seine Tasche packen würde, kehrte man der Zivilisation den Rücken zu und siedelte aufs Eiland über, haben die wenigsten eine spontane Antwort, aber jene Frage ist eng verbunden mit der Erwartung grenzenloser Freiheit. Am Inselparadies sollen sich nicht nur die Wellen brechen, sondern auch mit angespülte Träume und Wünsche in Erfüllung gehen. Diese Vorstellung griff in den späten Siebzigern eine TV-Show von ABC namens „Fantasy Island“ auf, in der ein Millionär Urlauber auf einem Fleckchen Land mitten im Pazifik empfing, um gegen eine Teilnahmegebühr ihre tiefsten Sehnsüchte wahr werden zu lassen. Der Weg dorthin erwies sich dann aber als steiniger als gedacht. Das Ganze war sozusagen die harmlosere Vorstufe zu Survival-Gameshows wie „Wild Island“ & Co., wie man sie nach der Jahrtausendwende auf das Privatfernsehpublikum losließ.
Idealer Anknüpfungspunkt für das Horrorgenre, dachten sich die Köpfe von Blumhouse, jener Produktionsfirma, die neben viel (wenn auch teils kreativem) Ausschuss auch Genre-Hits wie „Get Out“ oder das „Halloween“-Reboot zu verantworten haben, und schicken eine Handvoll Traumtänzer auf das entlegene Eiland von Mr. Roarke (Michael Pena, heißt wie im Original, damals von Ricardo Montalban verkörpert), jenem adrett gekleideten Geschäftsmann, der seinen Gästen das Blaue vom Südseehimmel verspricht, als si
e auf dem Steg von Fantasy Island landen. Dem Seifenoper-Charakter der Ur-Show bleibt Regisseur Jeff Wadlow anno 2020 treu, was sich allerdings nicht wirklich positiv auf den Gesamteindruck des Films niederschlägt, der irgendwo zwischen „Westworld“, „Haunted Hill“ und „Cabin in the Woods“ strandet – mitsamt einem Haufen (Horror-)Klischees, nervigen Figuren und gezwungen wirkenden Modernisierungen. Dass das Teil hier und da trotzdem als trashige Achterbahn funktioniert – immerhin…
Die fünf Mitstreiter, die allesamt etwas auf dem Herzen haben und sich ein Upgrade ihres bisherigen Lebens erhoffen, sind Melanie (Lucy Hale, bekannt u.a. aus „Pretty Little Liars“), Elena (Maggie Q mal wieder in einer Kinorolle), Randall (Austin Stowell) sowie die beiden Stiefbrüder Bradley (Ryan Hansen) und Brax (Jimmy O. Yang). Egal ob Liebe, Lust oder Krieg – mit etwas Hilfe aus der Insel-Kommandozentrale von Roarke und seiner Assistentin Julia (Parisa Fritz-Henley) sollen Fantasien Wirklichkeit werden, allerdings bis zur letzten Konsequenz, „bis zum Ende der Fantasie“ – diese Klausel behält sich der aalglatte Millionär vor. Das Quintett lässt sich davon erstmal nicht beirren, während der genre-erprobte Zuschauer natürlich schon ahnt, wo der Hase lang läuft. Melanie beispielsweise will sich an einem Bully aus der Schulzeit rächen, die ihr damals übel mitgespielt hat, ist dann jedoch alsbald überrascht, dass die Zielperson scheinbar wirklich entführt wurde und nicht nur als Hologramm existiert, an dem man sich per Steuerboard austoben kann. Randall wollte schon immer Soldat sein und ehe er sich versieht, zieht er mit Uniform und MP ins Gefecht. Und Bradley und Brax wollen sich eigentlich nur am Pool fläzen und den Anblick knackigen Frischfleischs genießen. Generell wünschen sich die meisten Teilnehmer laut Roarke „irgendeinen Sexkram“. Es dauert nicht lange, bis das Experiment aus dem Ruder läuft und die Fünf sich wünschen, sie wären mit dem Allerwertesten daheimgeblieben..
Ein Königreich für eine originelle Idee! Auch wenn das Konzept, Trash-TV für die Leinwand zu recyclen, weder abwegig noch neu erscheint, wird die Dubioser-Millionär-lädt-in-noch-dubioseren-Vergnügungspark-Prämisse hier recht unverbraucht einge- und ins Horrorkino über-führt (zumal sich nur ein Bruchteil der Zuschauer an die Show aus den 70ern erinnern dürfte). Die Figuren unerfüllte Fantasien durchleben zu lassen, bietet einen gewissen interaktiven Charakter, und in der Theorie den Nährboden für moralische Streitfragen, die dann aber doch leider zunehmend außer Acht gelassen werden. Die Entwicklung der Figuren und ihrer Konflikte bleibt so auf dem Niveau jener Seifenoper stecken, als die „Fantasy Island“ damals intendiert war – was dem Film aber nicht guttut. Remakes und Reboots bieten ja gerade die Möglichkeit, die Motivik der Vorlage etwas zu verschieben und andere Schwerpunkte zu setzen – niemand muss sich sklavisch an das Original halten. So sind die Charaktere viel zu austauschbar und verhalten sich viel zu reißbretthaft, um wirklich mitzureißen und so den Thrill glaubhaft-effektiv zu machen.
Und auch das blutrünstige Metafest, das das Skript in seinen Grundzügen Jeff Wadlow auf dem Silbertablett reicht, wird nicht konsequent ausgeschlachtet. Gerade in jenen Szenen mit der geknebelten Schultyrannin und Melanies „Saw“-mäßiger Aufsicht über das Maß und die Art des Leidens oder im Guerilla-Plotstrang hätte man den Wahnsinn garstig von der Leine lassen können. Stattdessen tritt Wadlow immer wieder die Notbremse und lässt zwar Blut spritzen und Fallen zuschnappen, aber treibt den Bodycount und das Absurditätspotenzial nie über die Schmerzgrenze. So als ob man den kleinen Prozentsatz jener Nostalgiker, die sich tatsächlich als Fans der familiengerechten Serie bezeichnen, noch mit an Bord holen müsste, ohne ein R-Rating zu riskieren. Die Gewaltspitzen wirken dann auch eher wie jene im Film beschriebenen Hologramme von ebensolchen. Den Hauptfiguren – Achtung Spoiler! – geht es dann auch nicht wirklich an den Kragen, der eigentlich gekillte Bradley darf im Finale im Tausch gegen das Verbleiben von Brax auf der Insel wieder auferstehen. Ein versöhnliches Ende, mit dem offenbar den Happy Ends der Serienfolgen mit einer Kompromisslösung Rechnung getragen werden soll, inklusive Schlussgag, der aber auch eher aufgesetzt denn spritzig daherkommt. Spoiler Ende! Die übernatürliche Komponente ist indes zwar notwendig, um die Rahmenhandlung überhaupt voranzutreiben, findet zwischen schwarzäugigen Pseudo-Zombies und schalen Geistererscheinungen aber auch nie wirklich ihren Platz.
„Fantasy Island“ schreit nach Twist. Der kommt dann auch, ist aber im Kern vorhersehbar und in der konkreten Umsetzung an den Haaren herbeigezogen. Das ist schade, aber bis dahin haben Wadlow und sein Drehbuch-Team genug B-Movie-Pulver verschossen, um bei der Stange zu halten. Nichts an diesem Film ist wirklich gelungen, aber vieles bespaßt trotzdem, weil man sich über die Schwächen nicht echauffiert, sondern sie wegen ihrer Ambitioniertheit eher belustigt aufnimmt. Das Buddy-Duo Bradley/Brax z.B. könnte einem „American Pie“-Direct-to-DVD-Nachzügler entnommen sein, wenn es nicht die ganze Zeit qualvoll versuchen würde, sich mit seinem Jargon und seinen Anspielungen auf postmoderne Internet-Phämomene wie Reddit oder Yelp am Puls der Zeit zu bewegen. Deren Gebaren ist wie auch die Scharmützel zwischen Sloane und Melanie und deren Gebagger am Klischee-GI Randall affig, aber die Dreistigkeit, mit der hier Horror-Abziehbilder kreiert werden, imponiert, wenn man sich einmal an den trashigen Survival-Soap-Tonfall gewöhnt hat. Dann kann man sich über die Film-Anspielungen und Hochglanzoptik-Spielereien im „Big Brother“-Container der etwas anderen Art amüsieren und sehen, dass Wadlow sehr wohl Ahnung vom Genre hat – er hantiert mit den Versatzstücken eben auf eher unbeholfene Weise. So ist „Fantasy Island“ der bisher wohl beste schlechte Film 2020. Und das ist selbst in einem Jahr, in dem es aus bekannten Gründen wenig Nachschub für´s Kino gibt, durchaus ein Kompliment..