„Once more into the fray...
Into the last good fight i'll ever know.
Live and die on this day...
Live and die on this day...“
Mit nicht mehr als ihrer Kleidung und dem Willen zum Überleben kämpfen sich acht Männer durch die eisige Wildnis Alaskas – auf ihrer Fährte ein Rudel hungriger Wölfe.
In Joe Carnahans Survival-Thriller „The Grey“ haben die Mitglieder eines Ölunternehmens als einzige einen Flugzeugabsturz überstanden und müssen nun versuchen, einen Weg aus ihrer scheinbar auswegslosen Situation zu finden.
Fest steht: Bis sie möglicherweise irgendwann ein Suchtrupp gefunden hat, sind sie längst tot. Die raue Natur dort draußen ist erbarmungslos.
Es ist ausgerechnet der sich seines Lebens bereits überdrüssige Jäger Ottway (Liam Neeson, „Schindlers Liste“), dem letztlich die Rolle als Ruhepol und Kopf der gemischten Gruppe zukommt.
Er trifft die Entscheidung, die Unglücksstelle so schnell wie möglich zu verlassen, um aus dem Revier der Raubtiere zu gelangen.
Kein ungefährlicher Marsch. Neben den Wolfangriffen sind es vor allem die Witterung und die geologische Beschaffenheit, die den Männern zusetzen.
Sie machen Feuer, bauen sich provisorische Waffen aus dem verfügbaren Material zusammen. Und sie sammeln ihre Brieftaschen – damit ihre Familien Gewissheit über ihr Schicksal haben.
Am Ende stellt sich nur die eine Frage: Wer wird den Tag überleben...?
Die Wölfe hier kreisen ihre Beute mit dämonisch funkelnden Augen ein, lauern. Und holen sich geduldig ein Opfer nach dem anderen.
Ich bin kein Experte auf dem Gebiet, aber ein kurzer Blick auf wikipedia verrät mir, dass sich in Nordamerika in den letzten dreißig Jahren nur 39 Fälle von Angriffen aggressiver Wölfe auf Menschen zugetragen haben. In sechs dieser Fälle seien die Verletzungen ernst - keine jedoch tödlich – gewesen.
Da ist mit ihrer allzu monströsen Darstellung der vierbeinigen Antagonisten bei Drehbuchautor Ian Mackenzie Jeffers (dessen Kurzgeschichte „Ghost Walker“ die Vorlage der Geschichte geliefert hat) und Regisseur/Koautor Carnahan scheinbar etwas die (Horror-)Fantasie durchgegangen.
Doch stört nun diese künstlerische Freiheit das ansonsten weitgehend glaubwürdige Drama?
Nein. Dafür haben wir solche Schreckensbilder aus dem Genre-Kino bereits selbst viel zu sehr verinnerlicht. Mensch gegen Tier, Gut gegen Böse – eine Schwarz-Weiß-Darstellung, die hier durchaus funktioniert.
Eben weil sich der Film nicht auf die bloße Aneinanderreihung blutiger Ereignisse konzentriert, sondern sich Zeit für seine Charaktere nimmt.
Ottway und seine Gefährten sind weder Rambos noch Albert Einsteine. Sie sind ein Haufen bodenständiger Männer, die sich nicht von ihrer innerlich langsam wachsenden Furcht freimachen können.
Es gibt eine Szene, in der der äußerlich toughe Diaz (Frank Grillo, „
Warrior“) gegen die Beschlüsse der anderen rebelliert. Das typische Klischee vom schwarzen Schaf (diesmal tatsächlich unter Wölfen).
Überraschenderweise wirkt der folgende Konflikt trotz seines altbekannten Schemas nicht wie eine schnöde Konserven-Ausgabe, sondern vermittelt sehr authentisch die Stellung der Figuren zu sich selbst:
Diaz kann sich seine Angst nicht eingestehen, er überspielt diese mit Adrenalin und Testosteron. Ottway dagegen verfügt über eine klare Sicht. Er hat nach dem Verlust seiner Frau und den anschließenden Suizidgedanken wieder zu neuer Kraft gefunden und sich für einen letzten Kampf entschieden – ein altes Gedicht seines Vaters im Hinterkopf und seinen Abschiedsbrief noch in der Tasche.
Die Darsteller, allen voran Liam Neeson, liefern nicht nur aufgrund der physischen Herausforderung starke Leistungen ab.
„The Grey“ ist ein Film, der auf realistische, gestandene Protagonisten setzt.
Hier gibt es keinen Wettbewerb, wer über die schönsten Haarsträhnchen, die strahlendsten Zähne oder den bestgebauten Oberkörper verfügt. Hier gibt es nur Männer, die es mit allen Mitteln heim zu ihren Frauen und Kindern schaffen wollen.
Gibt es eine verständlichere Motivation?
Mit seinem Debüt „Narc“ (2002) ist Joe Carnahan ein spannender und visuell ansprechender Milieu-Thriller gelungen, der Nachfolger „
Smokin´ Aces“ (2006) stellte sich als ambitionierter, aber unterm Strich leider etwas zerfahrener Action-Kracher heraus.
Dazwischen lag der gescheiterte Versuch, den dritten Teil der „Mission: Impossible“-Reihe auf die Beine zu stellen. Vor seinem aktuellen Werk zeigte sich der Regisseur für die Leinwandadaption vom „A-Team“ verantwortlich.
Ich bin froh, dass sich Carnahan schließlich mit „The Grey“, und nicht etwa mit – sagen wir - „Twilight 5 1/2“, zurückmeldet.
„Diesen Film hat mir die Arbeit am „A-Team“ ermöglicht“, verrät Carnahan in einem Interview - der Mann hat wohl verstanden, dass man im Business ohne kommerzielle Zugeständnisse selten an sein Ziel kommt.
„The Grey“ zeugt von großem inszenatorischen Talent. Ein Werk, das inhaltlich so simpel gestrickt ist, und dennoch, aufgrund seiner ungemein dichten Atmosphäre, eine Unruhe und Anspannung erzeugt, wie man sie eher aus dem früheren Kino kennt. John Carpenter ist ein Name, der zum Beispiel Anfang der Achtziger auf dem Regiestuhl denkbar gewesen wäre.
Ich mag Stoffe wie diesen gern roh, kraftvoll und schnörkellos, und „The Grey“ erfüllt diese Ansprüche völlig. Es geht ums nackte Überleben, nicht um rosa Elefanten.
Nur sollte vielleicht endlich jemand mal der Autoren-Welt mitteilen, dass nach Sprüngen auf große Distanz irgendwann die Schwerkraft die Oberhand gewinnt...nicht, dass ich dem packenden Werk nicht auch diese Freiheit noch zugestehen würde.
Das Ende hier ist sehr gut - eine Schlussszene, die mir wirklich unter die Haut gekrochen ist.
Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob sie den meisten Zuschauern gefallen wird.
Nach dem Abspann folgt dann noch eine kurze Einstellung – diese hätte ich nicht mehr gebraucht.