von Asokan Nirmalarajah
Nicht ohne Grund trägt die fiktive Strafanstalt Enola Vale (indianisch für „Tal der Einsamkeit“) in Kim Chapirons beklemmendem, aber substanzlosem Sozialdrama von 2010 über den brutalen Vollzugsalltag in einem Jugendgefängnis das nicht sonderlich einladende Pseudonym
Dog Pound (Hundezwinger). Sind die jugendlichen Straftäter, die hier wie streunende Köter zusammengepfercht und in kahle Schlaf- und Aufenthaltsräume mit ungemütlichen Etagenbetten gesperrt werden, doch trotz vereinzelter Eingriffe überarbeiteter Wächter vorwiegend sich selbst überlassen. Entsprechend schnell kommt es auch zu blutigen Machtkämpfen zwischen den Inhaftierten um die oberen Plätze auf der internen Hackordnung. Wem das alles sehr vertraut vorkommt, der hat entweder nicht wenige Gefängnisfilme gesehen, oder auch nur den unumstrittenen Klassiker des Jugendgefängnisfilms, Alan Clarkes
Scum von 1979. Das ungeheuer fesselnde, atmosphärisch dichte Knastdrama des kontroversen britischen Film- und Fernsehregisseurs Clarke bot die Vorlage zu dem weit dahinter zurück bleibenden Remake des Franzosen Chapiron, der seinem Sujet keine neue Facetten abgewinnen kann und so an den Genre-Klischees scheitert.
Zu Beginn der Handlung hat die Strafvollzugsanstalt Enola Vale gleich drei Neuzugänge zu verzeichnen: den 16jährigen Davis (Shane Kippel) für den Handel mit Drogen, den 15jährigen Angel (Mateo Morales) für einen gewaltsamen Autodiebstahl und schließlich den 17ährigen Butch (Adam Butcher) für den tätlichen Angriff auf einen Bewährungshelfer. Wie nicht anders zu erwarten, werden die drei mit dem Knastalltag noch nicht vertrauten Neulinge von den nervösen Wärtern strikt zurechtgewiesen und von den anderen Häftlingen argwöhnisch gemustert. Schon bald steht ihnen mit dem breitschultrigen Banks (Taylor Poulin) dann der Anführer einer Gang gegenüber, der sie mit seinen Vasallen bespuckt, ihnen die Schuhe klaut, beim Schlafen verprügelt und mit weiterer Gewalt droht, sollten sie sich hilfesuchend an die Wärter wenden. Unter dem Druck seiner Peiniger und der hilflosen Gefängnisverwaltung, die von Butch verlangt, das Schweigegebot der Insassen zu brechen, verliert dieser die Geduld und reißt sich mit einem wohl kalkulierten Racheakt die Macht im Gefängnis an sich. Doch seine Rebellion führt bald in die Eskalation zwischen Gefangenen und Wärtern, als zwei junge Häftlinge durch Übergriffe sterben...
Mit seiner zweiten Regiearbeit nach dem überdrehten Teen-Horrorfilm
Sheitan (2006) versucht sich Kim Chapiron, einer der sogenannten ‚jungen Wilden des französischen Kinos’, zur Abwechslung mal an schonungslosem Realismus. Zusammen mit seinem Co-Autor Jérémie Delon hat er sich eingehend mit dem Alltag in amerikanischen Jugendgefängnissen beschäftigt und konnte bei seinen Recherchen sogar einige der Gefangenen, wie etwa den eindrucksvoll diabolischen Taylour Poulin, der während des Drehs selbst noch im Knast saß, für Rollen in seinem Film verpflichten. Dieser Authentizitätsanspruch kommt dem schnörkellosen, mit wackeliger Handkamera, abrupten Kamerazooms und klaustrophobischen Nahaufnahmen gefilmten Gewaltdrama nur zugute. Glaubwürdig ist er aber trotz aller seiner inszenatorischen Dynamik und seiner vielversprechenden Besetzung charismatischer Jungschauspieler und Ex-Knackis nur bedingt. Denn keine der Sequenzen, ob nun die Schikanen, die sich die schwächeren Häftlinge von den stärkeren gefallen lassen müssen, die Kameraderie und die Konfrontationen unter den Insassen oder mit ihren Wärtern, oder der Gewaltausbruch zum Ende, wirkt auch nur im geringsten frisch.
Der internationale Erfolg von
Dog Pound auf verschiedenen Filmfestivals, unter anderem etwa dem letztjährigen Fantasy Filmfest, und sein respektables Ergebnis an Frankreichs Kinokassen (über 200.000 Zuschauer) für einen Film ohne große Stars, aber dafür viel Gewalt, sollten Chapiron eigentlich Recht geben. Doch trotz der Popularität der englisch-kanadisch-französischen Co-Produktion, die vielerorts für ihren konsequenten Verzicht auf jegliche Art von Sentimentalität, aufgesetzte Morallehren und ein unglaubwürdiges Happy End gelobt wurde, muss Chapiron sich doch den Vorwurf gefallen lassen, dass er mit der berechenbaren Handlung und den schablonenhaften Figuren bei weitem keinen so bleibenden Eindruck hinterlässt wie der im Vergleich brillante Gewaltfilm
Scum mit einem jungen Ray Winstone in einer seiner ersten Hauptrollen. Die Verlegung der Handlung von einem britischen Borstal (einem Gefängnis für Straftäter unter 21 Jahren) in den späten 1970ern in einen Jugendknast im heutigen Westen der USA ist dabei nur eine der vielen kreativen Entscheidungen des Films, die nicht aufgehen. Immerhin kann er aber dann doch mit einer brutalen Schlussszene punkten, die seinem Titel alle Ehre macht.
Die DVD und Blu-Ray zum Film aus dem Hause Alamode Film warten mit einem Making of, Interviews und geschnittenen Szenen auf. Leider wurden diese Extras auf der vorliegenden Presse-DVD nicht zur Begutachtung bereitgestellt.