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Onegin

Onegin

Ein Film von Martha Fiennes

Alexander Puschkin genießt in Russland den höchsten Grad literarischer Verehrung, er gilt als der Nationaldichter schlechthin. Seine Werke mögen in westlichen Kreisen vielleicht nicht so bekannt wie die seiner Landsleute Tolstoi, Gogol oder Dostojewski sein, doch die Kraft und Beliebtheit seines “Onegin” hat die Grenzen zum Westen längst überschritten. Regisseurin Martha Fiennes schuf mit ihrem Bruder Ralph Fiennes, Hauptdarsteller und Ko-Produzent, eine ruhige, schöne und sehr stimmungsvolle Neuverfilmung. Freunde der russischen Literatur werden trotz der Wandlung der Versform in Prosa genauso ihre Freude haben wie Anhänger von Liv Tyler, die ihre Rolle so beeindruckend ergreifend spielt, dass der Zuschauer ihr vom ersten Augenblick an verfallen ist. “Onegin” ist eine unglaublich traurige Liebesgeschichte, kaum auszuhalten, aber doch so voller Gefühl und Tiefe, dass man sich ihr nur schwer entziehen kann.

Jewgeni Onegin (Ralph Fiennes), Adeliger in St. Petersburg, ist ein Mensch, dessen Herz an nichts hängt. Er ist nicht bösartig, aber auch nicht liebenswert. Eigentlich ist er nur da, fröhnt dem Müßiggang und tingelt in der Gesellschaft herum. Als sein schwerreicher Onkel im Sterben liegt, fährt er zu ihm aufs Land, kann aber nur noch das Testament entgegennehmen. Onegin erbt alles. Da ihm das Leben in St. Petersburg nichts bedeutet und ihn letztendlich nur langweilt, versucht er, für einige Zeit das Landleben zu genießen. Er freundet
sich mit Vladimir (Toby Stephens), einem jungen Nachbarn, an. Dieser liebt Olga (Lena Headey), Tochter einer weiteren Nachbarsfamilie, und will sie unbedingt heiraten. Onegin in seiner ehrlichen, aber groben Art, bezeichnet Olga und Vladimir als unkultiviert. Für Onegin kein Problem, da er ja gerade vor der Kultiviertheit der Stadt flieht, Vladimir hingegen ist sehr gekränkt. Tatjana (Liv Tyler), Olgas Schwester, zeichnet sich durch ihre nach außen hin scheue, aber sensible Persönlichkeit aus. Onegin und Tatjana kommen sich zwar näher, doch als sie ihm mutig ihre Liebe in einem Brief gesteht, kann er diese nicht erwidern. Freundlich, aber glatt gibt er ihr zu verstehen, dass er dies nur als eine Schwärmerei ihrerseits ansehen würde und gebrochene Herzen schon bald wieder verheilt sein würden. Tatjana ist todtraurig.
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Als ob Onegin nicht schon genug Unruhe gebracht hätte, provoziert er auf einem Fest Vladimir so sehr, dass dieser kleine Hitzkopf nur noch einen Ausweg sieht, seine Ehre zu verteidigen: ein Duell. Onegin versucht, ihn davon abzubringen, aber sein Freund besteht darauf. Vladimir schießt mit aufgeregter Hand als Erster – und trifft daneben. Um seine eigene Ehre zu retten und nicht beim nächsten Versuch selbst getötet zu werden, muss Onegin Vladimir erschießen. Onegin verlässt seinen Landsitz und keiner weiß, wohin er abgereist ist.
Die Jahre vergehen. Tatjana ist unter die Haube gekommen und lebt in St. Petersburg. Da taucht Onegin wieder auf. Als sie sich wiedersehen, entflammt seine Liebe und nun gesteht er alles in einem Brief. Doch Tatjana ist standhaft. Für sie kommt Untreue nicht in Frage, sie hat sich für einen anderen Mann entschieden. Kaum zu ertragen ist die ganze Tragödie, als Tatjana unter Tränen gesteht, dass auch ihre Liebe noch nicht erloschen sei, sich beide aber niemals wiedersehen dürften.
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Dostojewski schrieb über das Original “Evgenij Onegin” (auch übersetzt mit “Jewgeni Onegin” oder “Eugen Onegin”), dass Puschkin damit “in der treffendsten Weise, mit einem scharfsinnigen Blick, den Kern des russischen Wesens erfaßt” hätte. Zweifeln wir also nicht an diesem hohen Urteil, sondern erfreuen uns daran, dass uns dieser authentisch-gesellschaftliche Hintergrund so hübsch verpackt wurde.

Die Originalvorlage wurde in Versform verfasst und führt den Leser von einem Erzähler durch die Geschichte. Die Verfilmung von Martha Fiennes hat weder Versform noch Erzähler übernommen – sicherlich ein Risiko, da dies einen erheblichen Reiz des literarischen Werks ausmacht. Die Figuren sprechen also in Prosa, ganz normal. Einerseits schade, da zu den schönen, stimmungsvollen Bildern ein “Sie lässt ihn knien zu ihren Füßen, und, keinen Blick von ihm gewandt, entzieht sie seinen wilden Küssen nicht ihre teilnahmslose Hand…” wunderbar gepasst hätte. Andererseits ist das Publikum an Versform in voller Kinolänge nicht gewöhnt und könnte so vom Rest des Films abgelenkt werden, was ja auch recht schade wäre. Das Sprachproblem wurde gut gelöst: insgesamt wurde relativ wenig Text eingesetzt, so dass damit auch nicht viel falsch gemacht werden konnte.

Die klassische Filmmusik zu den schönen Bildkompositionen und das Schauspiel kommen also umso besser zur Geltung. Und das sehr zur Genugtuung des Zuschauers: Liv Tyler (“Eine Nacht bei McCool`s”, "Herr der Ringe") ist einfach umwerfend. Sie trägt einen traurigen und doch irgendwie trotzig-eigenwilligen Blick mit sich herum, so dass man ihr die große Charakterstärke der Tatjana absolut abnimmt. Dies ist eine ihrer (um ehrlich zu sein eher seltenen) wirklich anspruchsvollen Rollen, seltsam also, dass “Onegin” gar nicht so bekannt ist.

“Onegin” ist eine Art Familienprojekt der Geschwister Fiennes. Bruder Ralph stieß angeblich mehrere Jahre vor der Verfilmung auf Puschkin und fing schon damals Feuer für die Figur des Onegin. Schwester Martha konnte sich als Tatjana nur Liv Tyler vorstellen, ebenfalls ein Treffer. Wer sich auf die Stimmung des Russlands des frühen 19. Jahrhunderts einlassen und sich dem langsamen Tempo und der Ruhe des Films anpassen kann, der wird einen wirklich schönen Abend verbringen. Voller Gefühle, sehr guter Schauspieler und einer klirrenden Schneelandschaft.

Eine Rezension von Jeannette Armborst
(22. Dezember 2007)
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Daten zum Film
Onegin 1999
Regie Martha Fiennes Drehbuch
Produktion
Darsteller Ralph Fiennes, Liv Tyler, Toby Stephens, Lena Headey
Länge ca. 102 Min. FSK freigegeben ab 12 Jahren
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