“Ein Schuss- das ist, worauf es ankommt!”
(Robert De Niro in “The Deer Hunter- Die durch die Hölle gehen”)
Noch feiern Michael (Robert De Niro) und Nick (Christopher Walken), zwei Stahlarbeiter in einer schäbigen Industriestadt in Pennsylvania, ausgelassen mit ihren Kollegen Stanley (John Cazale), Axel (Chick Aspegren) und John (George Dzundza). Anlass ist der Junggesellenabschied ihres Freundes Steven (John Savage), der im Begriff ist, seine Geliebte Angela im Rahmen einer feierlichen kirchlichen Trauung zu seiner Frau zu nehmen. Es ist eine verschweißte Männergemeinschaft, die zusammen sprichwörtlich durch dick und dünn gehen würde. Ein letztes Mal unternehmen die sechs Freunde einen Ausflug in die Berge, um Hirsche zu jagen und noch mal Freiheit zu schnuppern. Am nächsten Tag heißt es Abschied nehmen von der trauten Heimat, denn Michael, Nick und Steven werden zum Kriegsdienst nach Vietnam beordert. Dort erwartet sie ein Alptraum: Im Dschungel geraten sie in die Fänge des Vietcong, dessen Aufseher sie zu einem sadistischen Spiel zwingen: Russisches Roulette…
Als “The Deer Hunter” 1979 auf der Berlinale vorgeführt wurde, kam es zu einem Eklat. So fiel das Echo insbesondere von Kritikern aus den sozialistischen Ländern wie der Sowjetunion vernichtend aus. Man kreidete dem Film an, er werfe ein negatives Licht auf das vietnamesische Volk und sein Inhalt sei rassistisch. Postwendend riefen die entsprechenden
Delegierten auf dem Festival zum Boykott auf, was die Veranstalter aber nicht davon abhielt, den Film trotzdem im Programm zu lassen. Unter`m Strich waren die Vorwürfe der Sowjets reichlich deplatziert, denn “The Deer Hunter” hatte nicht die Absicht, Partei für die eine oder die andere Seite zu ergreifen. Regisseur Michael Cimino gliederte den Film in drei Teile auf- vor, während und nach Vietnam. Sein Ziel war es, die Auswirkungen, welche der Krieg auf die USA und seine zunächst noch blindem Patriotismus folgenden Bürger nimmt, anhand dieser Handlungsabschnitte filmisch zu protokollieren. Allerhand Zeit lässt sich Cimino dabei für die gründliche Figurenexposition - etwa eine halbe Stunde nimmt allein die Hochzeitsfeier von Steven und Angela in Anspruch. Dabei vermittelt er uns ein Gefühl von Heimat und was es bedeutet, als Freunde zusammenzuhalten. Später, wenn Cimino mithilfe von Kameramann Vilmos Zsigmond, dem wir die atemberaubenden Landschaftsaufnahmen aus “Beim Sterben ist jeder der Erste” verdanken, den Schrecken des Krieges in all seiner infernalischen Grausamkeit auf die Leinwand malt, gibt es für Michael & Co. kein Zurück mehr. Ihnen wird gewahr, dass es längst nicht mehr um den “guten Zweck”, den sie einst darin sahen, ihrem Land zu dienen, geht, sondern um`s nackte Überleben. Und dass nichts mehr so sein wird wie vorher, sollten sie die Hölle überstehen.
Ist “The Deer Hunter” also ein Kriegs- oder ein Antikriegsfilm? Roger Ebert schrieb in seiner Rezension, der Film sei weder das eine noch das andere, sondern in erster Linie ein Film, der dafür sorge, dass wir den Krieg und das, was er mit uns Menschen anrichtet, nicht vergessen. Demnach zu urteilen wäre die oben gestellte Frage nahezu eine Farce. Der Film führt uns die Unmenschlichkeit und Sinnlosigkeit des Krieges sowie den Trugschluss, Frieden mit Waffengewalt erzwingen zu können, in Bildern vor Augen, die sich tief unter die Haut brennen. Als Michael und Nick zwischen die Fronten von nord- und südvietnamesischen Milizen geraten, werden sie gefangen genommen und sollen sich einer äußerst brutalen Form von “Russischem Roulette” unterziehen. Dabei halten sie sich selbst einen Revolver an die Schläfe, der entweder geladen ist oder eben nicht. Über Leben und Tod entscheidet in diesem selbstmörderischen Spiel- ähnlich wie bei einem Münzwurf- der blanke Zufall. Ein Menschenleben ist in der bomben- und granatenverhangenen Hölle Vietnams keinen Pfifferling mehr wert, im Gegenteil schlagen die Ausrichter sogar Profit aus der physischen und psychischen Belastung der Opfer, in dem sie hohe Wetteinsätze investieren. Nick überlebt das Spiel zwar dank Michael, ist aber fortan so schwer traumatisiert, dass er nicht mehr imstande ist klar zu denken. Michael wiederum kehrt nach sieben Jahren nach Hause zurück und wird von seinen Kumpels gefeiert wie ein Held. Nick`s Freundin Linda (Meryl Streep) hingegen merkt, welche Spuren die Zeit bei ihm hinterlassen hat und beide versuchen sich gegenseitig Halt zu geben.
ichael hält es jedoch nicht lange aus im öden Pennsylvania, welches ihm einst so heimisch war. Er möchte Nick, seinen besten Freund, von dem er schon lange kein Lebenszeichen mehr vernommen hat, aus Vietnam befreien. Dafür zahlt er einen hohen Preis, doch als er im Feuersturm von Saigon ankommt, trifft er auf einen lebensmüden und am Boden zerstörten Nick, der in endlosen Runden Russischem Roulette das letzte Fünkchen Verstand verloren hat- und Michaels These, dass es ein einziger Schuss sei, auf den es ankäme, bewahrheitet sich auf tragische Weise. An dieser Stelle wird sich der aufmerksame Betrachter vielleicht noch einmal an das Getränk erinnern, welches zu Beginn auf Angelas Brautkleid verschüttet wurde und das nun- in der Rückschau- als eine Art Vorbote für das Unglück, welches Michael und seinen Freunden widerfahren ist, steht. Dennoch lässt Cimino den Protagonisten im Angesicht der Verblichenen einen Hauch von Hoffnung.
Dass “The Deer Hunter” ein Film von solch großer emotionaler Kraft geworden ist, liegt auch an den umwerfenden Darstellern, besonders den beiden Herren an vorderster Front. Robert De Niro ist in seiner Rolle des einsamen Jägers, der für seine Kameraden “durch die Hölle geht”, durch nichts und niemanden zu ersetzen. Warum keiner der fünf Oscars, die der Film eingesackt hat, an De Niro vergeben wurde, entzieht sich meinem Verständnis. Dafür ergoss sich ein Teil des Preisregens über Kollege Christopher Walken, der hier mindestens einhundert Prozent gab und eine der besten Leistungen seiner Laufbahn ablieferte. Der Rest der Besetzung- sei es jetzt John Savage, John Cazale oder Meryl Streep- ist ausnahmslos großartig.
Michael Cimino`s in epischem Atem inszeniertes Drama “The Deer Hunter- Die durch die Hölle gehen” ist einer der ersten amerikanischen Filme überhaupt, die den Mut aufbrachten, das Trauma Vietnam im Kino zu verarbeiten. Und neben Coppola`s meisterhafter Kriegsmeditation “Apocalypse Now”, Oliver Stone`s “Platoon” und ferner Kubrick`s ätzendem Militär-Kriegsthriller “Full Metal Jacket” auch einer der besten. Dennoch ist “The Deer Hunter” nicht als bloße Kritik an der Maschinerie des Krieges zu verstehen, sondern als leidenschaftliche Hymne an das Leben, die Liebe und die Freundschaft in einer Zeit der Unruhen und des Terrors, die die Ächtung der Menschenrechte gewissenlos hinzunehmen scheint.