Wir befinden uns in einem Raum unbekannter Größe. Nur ein Tisch ist zu sehen, an dem sich zwei Menschen gegenübersitzen. Der eine benommen und verwirrt, im Unklaren darüber, warum er sich in dem besagten Raum aufhält. Der andere ruhig und selbstsicher, sich vollkommen seiner überlegenen Position bewusst. Verbrechen gegen den Staat soll der erste Mann begannen haben. Verbrechen, an die er sich nur vage erinnern kann. Man habe ihn ruhig stellen müssen erklärt ihm der korrekt gekleidete Mann mit emotionsloser Miene. Die Erinnerung werde langsam wiederkehren und ihm werde die Möglichkeit gegeben seine Taten zu rechtfertigen und sie zu bereuen. Ein Gespräch solle Aufschluss darüber geben, ob seine Rehabilitierung Erfolg versprechend sein werde oder er die vollen Konsequenzen seiner Taten zu tragen habe.
„Das Verhör“ verfolgt ein minimalistisches Konzept. Fast der gesamte Film spielt sich in einem Verhörzimmer ab. Gelegentliche Rückblenden erzählen die Vorgeschichte und erklären, warum der erste Mann - Johann Schönberger - sich in Verwahrung befindet. Der Raum ist einfach gestaltet. Fast schon abstrakt. Die Protagonisten sind von einer gähnenden, schwarzen Leere eingehüllt. Alle unwichtigen Details werden ausgeblendet. Der Zuschauer soll sich nur auf das Wesentliche konzentrieren, sich nicht ablenken lassen. So erfahren wir auch nicht, in welchem Land, zu welcher Zeit oder gar in welchem System sich die Geschehnisse zutragen. Das ist n
ebensächlich. Die Geschichte könnte sich in jedem Land zutragen, in dem sich ein totalitäres oder autoritäres System etablieren konnte. Im Grunde sind auch die Personen austauschbar. Anstelle von Johann Schönberger könnte auch jedes andere Mitglied dieser Gesellschaft auf dem Verhörstuhl sitzen. Ein Zufall - mehr nicht - war es, der Johann Schönberger überhaupt erst in diese kompromittiernde Lage versetzt hat. Ein sich verspätender Zug war Anlass für Schönbergers Entschluss zu Fuß nach Hause zu gehen. Auf dem Rückweg verläuft er sich und stößt so zufällig auf eine kleine Tanzgesellschaft, die ihn nach seiner Entdeckung sofort anstandslos in ihrer Mitte willkommen heißen. Schönberger ist überwältig, berührt von der Musik – die reaktionär und manipulativ war, wie ihm während des Verhörs mitgeteilt wird -, fasziniert von der Offenheit und Vertrautheit der Fremden, die er erst kurz zuvor kennen gelernt hatte. Unerwartet beginnen sich Gefühle in ihm zu regen, von denen er zuvor nicht wusste, dass sie überhaupt existierten. Er fühlt, dass er erst in diesem Moment das erste Mal in seinem Leben wirklich glücklich ist. Sein voriges Leben, das ganz der Arbeit und seiner Pflicht gegenüber dem Staat gewidmet war, erscheint ihm auf einmal leer und sinnlos. Dieses Erlebnis - einer Offenbarung gleich – und die langsam wiederkehrenden Erinnerungen daran setzen bei Schönberger einen eindrucksvollen Denkprozess in Gang, an dessen Ende er sich nicht mehr nur als funktionierendes Glied einer Gesellschaft versteht, sondern sich erstmals auch als Individuum wahrzunehmen beginnt. Als Individuum mit ganz eigenen Bedürfnissen und Wünschen. Kompromisslos zeigt der Film jedoch, dass diese Einsichten auch zu spät kommen können.
„Das Verhör“ setzt sich mit einer Reihe bedeutsamer Fragen auseinander, die nach jüngsten politischen Entwicklungen wieder an Aktualität gewonnen haben. Nicht nur, dass die jüngere deutsche Geschichte gleich mit zwei ideologisch gerechtfertigten Systemen aufwarten kann, auch tagespolitische Diskussionen über so große Themen wie innere Sicherheit oder Datenschutz zeugen von der wieder gewonnen Brisanz der in diesem Film behandelten Themenkomplexe. „Soviel Freiheit wie möglich, so viel Sicherheit wie nötig.“ Ein Satz, der gerne des Öfteren fallen gelassen wird, wenn es um staatliche und sicherheitspolitische Belange geht. Es ist erschreckend was für ein geringer Wert der eignen Freiheit in krisenhaften Zeiten mitunter beigemessen wird. Wie wichtig ist persönliche Freiheit überhaupt? Wie lassen sich Aufgaben, Rechte und Pflichten des Staates gegenüber seiner Bürger definieren? Ist es legitim persönliche Freiheit zugunsten von Ordnung und Sicherheit einzuschränken und bisweilen die so hochgelobten Menschenrechte außer Kraft zusetzen, sobald eben diese Ordnung und Sicherheit nicht mehr gewährleistet zu sein scheinen? Welche Instanz ist letztendlich in der Lage eine derartige Entscheidung zu fällen? Welcher Spielraum bleibt dem Einzelnen in einem bis ins kleinste Detail geregelten System? Wie viel ist ein Menschenleben überhaupt wert? Wofür lebt der Mensch? Ist jeder nur ein austauschbares Teil, das bei kleinsten Abweichungen aus dem System entfernt werden muss, um seinen negativen Einfluss nicht auch noch auf andere Teile ausüben zu können? Die Liste der Fragen ließe sich noch um viele weitere ergänzen. Ein Beweis dafür wie viel Arbeit und Substanz in dem Skript von Rafael Kühn steckt, der bei dem Film auch gleichzeitig Regie führte.
Der Film „Das Verhör“ bietet ein interessantes Konzept, es hätte lediglich besserer Schauspieler bedurft, um die eindringlichen, ganz in schlichtem schwarz/weiß gehaltenen Bilder angemessen zu unterstützen. Beide Schauspieler haben einen starke körperliche Ausdrucksfähigkeit, besonders Ahmad Mesgarha, der die Rolle des Staatsdieners übernahm. Sobald jedoch angefangen wird zu sprechen, verflüchtigt sich diese zugleich unnahbare und dennoch vertraute Ausstrahlung Mesgarhas und die angespannte Beziehung zwischen den beiden Hauptpersonen gleitet in einen schleppenden und hölzern wirkenden verbalen Schlagabtausch ab, der dem Inhalt des Gesagtem nicht gerecht wird. Es gelingt den Schauspielern leider nicht die Intensität, die den Bilder anhaftet, durch ihr Schauspiel fortzuführen. Dies entzieht dem Film traurigerweise einen Teil seiner Wirkmächtigkeit.