Filmkritiken - von Independent bis Hollywood
 
2008 Filmkritiken | 10468 Personen | 3323 Kommentare  
   
Bitte wählen Sie

Email

Passwort


Passwort vergessen

> Neu anmelden

Auch interessant



Die zehn Gebote
von Cecil B. DeMille




Meist gelesen¹

1. 
Cannibal Holocaust (Nackt und Zerfleischt)  

2. 
Martyrs  

3. 
Auf der Alm da gibt's koa Sünd  

4. 
Troll Hunter  

5. 
Antikörper  

6. 
Das Zeiträtsel  

7. 
Supernatural  

8. 
Harry Potter und der Orden des Phönix  

9. 
Andromeda - Tödlicher Staub aus dem All  

10. 
Midnighters  
¹ gilt für den aktuellen Monat

  FILMSUCHE
  Sie sind hier: Filmkritiken > Sam Mendes > Jarhead - Willkommen im Dreck
Jarhead - Willkommen im Dreck RSS 1.0


Jarhead - Willkommen im Dreck

Jarhead - Willkommen im Dreck

Ein Film von Sam Mendes

Die US-amerikanische Außenpolitik hat in den meisten Ländern Europas schon lange nicht mehr den besten Ruf. Ein zermürbend langer Irakkrieg, viele Todesopfer unter den Zivilisten, weitere Terroranschläge und Folterskandale bewirken allerdings, dass auch immer mehr US-Bürger – darunter sogar Republikaner - die Sinnhaftigkeit dieses Vorgehens in Frage stellen.
Auch Sam Mendes, der britische Regisseur des tiefgründig-satirischen Dramas „American Beauty“ (1999), stellt sich mit „Jarhead“ gegen die aktuelle Kriegsführung. Zwar zeigt er in seinem neuen Film die Erlebnisse junger Marines während ihres kurzen Einsatzes im zweiten Golfkrieg, die Darstellung der Ereignisse und die darin verpackte Kritik sind jedoch, trotz Mendes’ nachdrücklicher Betonung dies nicht zu beabsichtigen, auf den Irakkrieg unter dem jetzigen Präsidenten der Vereinigten Staaten transparent.

In einem satirischen Rückblick auf Anthony ‚Swoff’ Swoffords Zeugung, Kindheit und Jugend zeigt „Jarhead“, dass der junge Marine keine anderen Alternativen in seinem Leben sah und nur deshalb die Militärlaufbahn wählte. Als ihn sein sadistischer Ausbildner demütigt, anbrüllt und fragt, was er überhaupt hier zu suchen hätte antwortet Swoff „Sir, I got lost on the way to college, sir“.

Das Hauptaugenmerk des Films liegt auf der Propagandakritik an Medien, Militär und ‚Uncle Sam’. Bevor die jungen Männer, die gerade erst den Kinderschuhen
entwachsen sind, zu ihrem 175 Tage langen Aufenthalt in den Irak aufbrechen werden sie noch einmal einer vollen Gehirnwäsche unterzogen. Dabei wird ihnen ein heftiger Propagandafilm - Mendes hat sich hier einen boshaften Streich erlaubt, handelt es sich doch um keinen anderen Film als Coppolas „Apocalypse Now“, der in „Jarhead“ zum Propagandainstrument pervertiert wird - gezeigt, zu welchem die Jugendlichen grölend und jubelnd mitsingen während das Thema von Wagners „Ritt der Walküre“ (die Musik bekommt in diesem Zusammenhang eine völlig andere Bedeutung, schließlich wissen wir hierzulande alle welche Konnotationen mit dem Komponisten mitschwingen) die Bilder untermalen.
Jarhead - Willkommen im DreckJarhead - Willkommen im DreckJarhead - Willkommen im Dreck
Im Irak angekommen stellt sich schon rasch die große Ernüchterung ein. Zwar laufen und schreien alle im Sprechchor mit, versuchen ihr Denken abzuschalten und mit den vielen Widersprüchen, wie z.B. der Tatsache, dass die USA einst Waffen in den Irak lieferten und damit Saddam Hussein unterstützten, die Jungs werden aber zunehmend desillusioniert und beginnen an ihren idealistischen und naiven Vorstellungen zu zweifeln.
Unter mehreren Schlüsselszenen fällt besonders jene ins Auge, in der ein Reporterteam die jungen Marines interviewt und sie nach ihren Beweggründen befragt. Dabei wissen die jungen Soldaten nicht welche Antworten sie geben sollen bzw. dürfen. Einige versuchen sich vor den kritischen Fragen zu retten indem sie eingetrichterte Standardsätze wie „Ich möchte meiner Heimat dienen und den Frieden wieder herstellen“ auswendig aufsagen.
Der Krieg ist zu einem Medienspektakel geworden, zu einer sorgfältigen, zensierenden Inszenierung und Manipulation der Massen.

Ständige Bedrohung, Angst und das Warten auf den Einsatz, der letztendlich bloß wenige Tage dauern soll, die gleißende Sonne sowie tödliche Langeweile treiben die jungen Männer immer mehr in den Wahnsinn, was sich bei den einzelnen Jarheads ganz unterschiedlich äußert. Swoff setzt seinem Kameraden eine geladene Waffe an den Schädel und droht ihn zu erschießen, ein anderer Kamerad hingegen schändet den Leichnam eines Irakers.
Uns allen wird das Bild eines fairen, gerechten und reinen Krieges suggeriert, der vorhersehbar verläuft und sich nie unserer Kontrolle entzieht. Da wäre einmal die Politik, die bemüht ist sich ständig wiederholend zu versichern, dass Krieg eine dem Gemeinwohl nützliche und ehrenhafte Sache sei, die nur dazu diene den Weltfrieden wiederherzustellen und die so genannte „Achse des Böse“ (= das Unwort des Jahrhunderts) unschädlich zu machen.
Auch die Medien tragen einen großen Teil dazu bei: wenn ein Reporter beim Bombeneinschlag auf Bagdad begeistert „Bingo!“ ausruft, ein namhafter deutscher Privat-Sender in der Hauptabendzeit harmlose Truppenübungen ausstrahlt und uns mit Computeranimationen glaubhaft machen möchte, dass die moderne technische Kriegsführung Ziele absolut treffsicher erreichen könne und ohne einen einzigen Zivilisten zu gefährden, entsteht der Eindruck Krieg sei ein spannendes und unterhaltsames Spiel.
Wenn Krieg so lustig und sauber ist, warum gibt es dann immer wieder solch unliebsame Überraschungen wie der (auch im Film gezeigte) „Highway of Death“, die schockierenden Bilder von Folterskandalen und andere Menschenrechtsverletzungen? Auf diese Frage versucht Mendes in „Jarhead“ einen Erklärungsversuch zu geben. Damit möchte er die menschenverachtenden Kriegsverbrechen gewiss nicht entschuldigen, er stellt sie aber kommentarlos wenn auch verstörend dar und lässt sich den Zuseher sein eigenes Urteil bilden.
Die Marines im Film verrohen. Ihre Menschenwürde mitsamt ihrer Menschenrechte sind in der Ausnahmesituation des Krieges aufgehoben, und dass lässt sie ihr Sergeant durch ständige Machtdemonstrationen und Schikanen auch mit großer Genugtuung spüren. Da ist es nicht verwunderlich, dass sich die Jugendlichen ihre Druckventile suchen, ihre schlimmsten Seiten und Eigenschaften nach Außen kehren, wüste Sauforgien feiern, oder dass ein Soldat weinend darum bettelt endlich einmal einen Gegner abknallen zu dürfen und alle Marines am Ende des Einsatzes ein bacchantisches Fest feiern, mehr Tieren als Menschen gleich.

Der eigentliche Kriegsgegner ist bis auf eine Ausnahme, in der zwei panische Soldaten von Saddams Republikanischer Garde aus der Entfernung gezeigt werden, nie zu sehen. Das Script thematisiert nicht den Kampf gegen den Irak, sondern legt den Fokus ganz auf die Kämpfe, die die jungen Marines vollkommen auf sich allein gestellt und im Stich gelassen mit und gegen sich selbst austragen müssen (Zitat:“It was MY war“) - manchmal ihr ganzes Leben lang; Kämpfe, welche die unerfahrenen Jugendlichen für immer brandmarken werden, sie zu Opfern und Tätern zugleich werden lassen und einige auch zu Verlierern machen. Denn so manchem will die Rückkehr ins zivile Leben nicht mehr gelingen, und so bleibt in der Einsamkeit der Erinnerungen nur noch der Suizid als letzter Ausweg.

Mendes ist abermals ein großartiges Regiewerk gelungen, das durch die ausgeklügelte Kombination von einem hochkomplexen und vielschichtigen Drehbuch mit tiefgründigen Dialogen und erstklassigen Schauspielern - darunter Jake Gyllenhaal, der als knackiger Marine wieder einmal seine Wandlungsfähigkeit unter Beweis stellt – zu einem einzigartigen und anspruchsvollen Filmereignis wird. Der Soundtrack (wie bereits in „American Beauty“ ist wieder die bittere Ironie zwischen Handlung und Songs zu beachten), verfremdete und surreale Bilder (vgl. das ästhetische Pferd in der Finsternis der brennenden Ölfelder oder die ausgebrannten Autowracks) und Kameraführung tragen ihr übriges bei, um dem Werk den letzten Schliff zu verpassen.

„Jarhead“ ist ein kritischer Beitrag, eine Abrechnung mit Propagandamaschinerie, Kriegstreiberei und Menschenrechtsverletzungen, die bestimmt viele vor den Kopf stoßen und große Reaktanz hervorrufen wird. Immerhin rüttelt er uns auf eine sehr unangenehme und verstörende Art und Weise wach indem er Ideale, Ideologien und Patriotismus (vgl. „Wir waren Helden“) in Frage stellt. Somit leistet Mendes über das Medium Spielfilm jene Aufklärungsarbeit, die eigentlich Aufgabe der freien aber nur allzu polarisierenden Medien wäre und welche uns nur allzu oft ganz bewusst vorenthalten wird, und individualisiert unsere gefilterte Wahrnehmung des scheinbar anonymen, technischen und abstrakten Krieges.
Jarhead - Willkommen im DreckJarhead - Willkommen im DreckJarhead - Willkommen im Dreck


Eine Rezension von Florian Friedrich
(15. Februar 2007)
Jarhead - Willkommen im Dreck bei Amazon.de kaufen    Jarhead - Willkommen im Dreck bei ebay.de ersteigern


Kommentar schreiben | Einem Freund empfehlen

Daten zum Film
Jarhead - Willkommen im Dreck USA 2005
(Jarhead)
Regie Sam Mendes Drehbuch William Broyles Jr.
Produktion Lucy Fisher, Douglas Wick
Darsteller Damion Poitier, Brian Geraghty, Kevin Foster, Lucas Black, Lo Ming, Jamie Foxx, Peter Sarsgaard, Scott MacDonald, Jake Gyllenhaal, Chris Cooper
Länge 123 min FSK 12
http://movies.uip.de/jarhead/
Kommentare zu dieser Kritik
Zombie-mower TEAM sagte am 17.03.2007 um 17:31 Uhr

Sehr engagierte Kritik, Florian,
aber ich muss sagen, dass hier in dem Film die Abwesenheit einer wirklichen Handlung mit allem drum und dran (die verschiedensten Interpretationen über die Aussage des Filmes, den Soundtrack und den Hintergrund des Geschehens) zu kompensieren versucht wird.
Der Inhalt wäre ungefähr, dass junge Rekruten für den Kampfeinsatz ausgebildet und dann in den Irak geschickt werden. Und bis auf ein paar Alltagsvorkommnisse passiert weiterhin nichts.
Es war sicher die Absicht von Sam Menders, das Inhalts- und Sinnlose darzustellen. Aber genau das ist meiner Meinung in falscher Form realisiert worden. Ein Episodenfilm, zugeschnitten auf gewisse Handlungsabschnitte oder ein satirischer Dokomentarfilm hätten sicherlich größere Wirkung gehabt.
Doch offenbar ist es Menders Filmstil geworden, Oberflächliches und Unscheinbares zum Hauptinhalt zu machen. Schließlich lief "Road to Perdition" nach dem gleichen Konzept ab.
Abschließend gesagt ist Jarhead für mich kein Kriegsfilm (wie etwa Full Metal Jacket, Platoon, Saving Private Ryan,...) sondern ein sehr eigensinniges Drama vor dem Hintergrund des Golfkriegs. Zu dem man (ich zumindest) sich schwer tut, Zugang zu veschaffen.

Kommentar schreiben | Einem Freund empfehlen

 

Impressum