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Manhattan

Manhattan

Ein Film von Woody Allen

Mit einer Stadt ist es nicht anders als mit Frauen – beiden sind einige der schönsten Werke der bildenden Kunst gewidmet worden. Und wie mit Frauen ist es auch mit Städten – sie haben immer mehrere Verehrer. So war Woody Allen nicht der erste, der New York eine Liebeserklärung auf die Leinwand bannte, doch darauf kommt es nicht an, sondern auf die Art, die Ehrlichkeit, die Zärtlichkeit einer jeden neuen. Und was diese Kriterien anbetrifft, erreicht der große amerikanische, und im Herzen europäische Regisseur höchstes Niveau.
Der Film beginnt, ohne Anfangstitel, in überwältigendem Cinemascope, das von Unites Artist vertraglich für jede Aufführung von „Manhattan“ vorgeschrieben worden ist, mit New York und endet mit New York. Die Skyline, die Geschäfte, küssende Paare und schneebedeckte Straßen. Voller Schönheit, perfekt ins Bild gesetzt. Sogar der Titel des Films strahlt uns von einer Leuchtreklame entgegen. Akkompagniert werden die Ansichten und späterhin die Handlung von George Gershwins Symphonie „Rhapsody in Blue“. Obwohl man sich eingestehen muss, dass sie sich als Musik zum Film nur schwer eignet, weil sie als solche zu kräftig, zu dominierend ist, geht es auch bei ihr fast eher um die Symbolik – so eigen, so einprägsam wie sie ist auch die Stadt New York. Das wird man am Ende feststellen.
Woody Allen ist einer der europäischsten Regisseure, die je in Amerika gedreht haben. Was würden die „Amerikaner“ aus diesem Sujet
machen? Ein von Charaktern überfließendes, mit technischen Finessen aufgeblähtes Riesenwerk, das an Aufwand genauso hoch strebt wie Manhattans Wolkenkratzer. Der „Europäer“ Allen dagegen gestaltet seine Ode in einem kleinen Kammerspiel. Vier Personen bilden das Gerüst des Films, um sie dreht sich alles, in gleichem Maße, wie sie sich selber immerzu drehen.
Isaac Davis ist ein Fernsehautor, der witzige Sendungen schreibt, bis sie ihm selbst nicht mehr gefallen und er seine Arbeit kündigt. Er hat eine Beziehung zu einer 17-jährigen (Mariel Hemingway), die manchmal erwachsener wirkt als er selbst. Seine Ex-Frau (Meryl Streep) schreibt ein Erinnerungsbuch über ihre Ehe, unter anderem über Davis’ Komplexe und Narzissismen. Dann macht ihn sein bester Freund (Michael Murphy) damit vertraut, dass er seine Frau mit einer Journalistin betrügt. Davis lernt sie, Mary, (Diane Keaton) bald darauf kennen und hassen: eingebildet, zickig, überkandidelt, und macht sich zudem einen Spaß daraus, Namen wie Mahler, van Gogh, Bergman falsch zu betonen. Wenn es an Bergman geht, sind Allens Charaktere eins mit ihrem Autor: sie werden ihn mit Haut und Haaren verteidigen.
Unglücklich in seiner Beziehung zu einem Mädchen, deren Vater, wie er selbst sagt, jünger ist als er, was für ihn eine ganz neue Erfahrung in seinem Leben sei, sucht er einen Halt und klammert sich fester an die Geliebte seines Freundes. Aber dieser traut sich nicht, seine Ehe aufzugeben und beendet ihre Affäre. Und Isaac übernimmt die Frau, die von sich selbst sagt, sie sei eine wandelnde Ansammlung von Problemen. Sein Mädchen gibt er für sie auf, sie, die ihn aufrichtig liebt und der ihr wichtig ist. Er sagt ihr, sie solle ihm nicht nachtrauern, sie werde innerhalb von drei Jahren Affären haben, die zehnmal intensiver sein würden als ihre. Doch kaum sind Isaac und Mary zusammen, zieht es diese schon wieder zu ihrem Verflossenen, der ihr nachtrauert und sich nach ihr sehnt. Sie gesteht Isaac ihre Gefühle. Ob sie sich mit ihrem Psychiater darüber besprochen habe, fragt er. Nein, sagt sie, es war nicht möglich, er liegt im Koma, weil er mit LSD rumexperimentiert hat. So ist Allen, pardon, Davis von allen verlassen. Doch zuletzt, mit einem eruptiven Einbrechen der „Rhapsodie“ besinnt er sich auf das Richtige, das scheinbar Richtige. Bei diesem europäischen Amerikaner hat man wenigstens noch nach angenehme Gefühl, dass es kein endgültiges „richtig“ geben kann.
ManhattanManhattanManhattan
Wer vorhat nach New York zu gehen, sollte sich vorher „Manhattan“ anschauen. Man kann sich sicher sein, dass Allen von den schönsten Plätzen dieser Metropole keine ausgelassen hat in seinem Film. Ob die Riverside, das Hayden Planetarium, in dem eine der intensivst gefilmten Szenen des Films stattfindet, an deren Ende Davis Lust auf „interstellare Perversionen“ bekommt, eine Bank vor dem Morgenpanorama der Queensborough Bridge, alles wurde in den Film einbezogen, wie es zur Verfügung stand. Gedreht in seiner Phase eines kontrastbetonenden, zugleich oftmals sterilen Schwarz-Weiß, die mit „Annie Hall“ begann und bis „Broadway Danny Rose“ anhielt, hat aber jede Einstellung einen nostalgischen, wehmütigen Zug. Es gibt sicher keinen Pessimismus, der so angenehm zu ertragen wäre wie Allens, weil er ihn mit einem Trick beibringt, den Tschechow in die Moderne eingeführt hat: er konterkariert das Weinen mit einem unmittelbar darauffolgenden Lachen. Es gibt buchstäblich keine Szene in „Manhattan“, sei ihr Inhalt auch noch so ernst, die nicht zumindest einen Lacher in sich bürge. Isaac und Mary küssen sich, Mary schaltet das Licht aus, dann fragt sie: Woran denkst du? Und Isaac: Ich glaube mit mir stimmt etwas nicht, denn ich hatte noch keine Beziehung, die länger gedauert hätte als die zwischen Hitler und Eva Braun.
Viel wird geredet im Film, wenig wird kommuniziert, die Dialoge spielen sich auf einer Ebene ab, die Empathie nicht zulässt. Und diejenige, die am wenigsten redet, ist sich über ihre Gefühle am klarsten. Diejenige, die die fremdwortreichsten Sätze äußert, kann sich selbst nicht verstehen. Ganz klar zeigt Allen diese Botschaft auf.
Dank seiner Bilder, seiner Authentizität, seines Charmes ist „Manhattan“ ein besonderer Film. Nicht Allens bester, aber zu seinen besten gehörend. Und sein an den Einnahmezahlen gemessen erfolgreichster. Umso mehr wundert es, dass Allen diesen Film wie keinen anderen in seiner Filmographie nicht leiden kann. Der Produktionsfirma Unites Artists soll er sogar angeboten haben, etwas anderes für sie zu drehen, wenn sie dieses Werk im Regal behalten würden, so sehr war er vor allem mit seiner Leistung unzufrieden. Das ist zum Glück nicht geschehen und New York hat seine persönliche Liebeserklärung von einem der größten Bürger seiner Geschichte empfangen können, dem man selbst mit Recht den Satz zuschreiben kann, den Isaac David zu Beginn des Film, noch während der New York und Gershwin-Sequenz, in einem Off-Kommentar niederschreibt: He adored New York City.
Als Allen 2002 eine Montage von New-York-Filmen bei den Oscars vorstellen sollte, leitete er so ein: „Ich sagte, Gott, ihr könntet jemanden viel Besseres kriegen als mich. Ihr könntet zum Beispiel Martin Scorsese, oder, oder Mike Nichols oder Spike Lee oder Sidney Lumet kriegen…Und, und ich fuhr fort Namen zu nennen und sagte: Schaut, ich habe euch fünfzehn Namen gegeben von Leuten, die begabter sind als ich, und, und gewitzter, und stilvoller…“ Und sie sagten: Ja, aber die sind alle nicht verfügbar.“ New York kann sich glücklich schätzen, einen Verehrer wie Allen zu haben.

Eine Rezension von Michael Kaufmann
(24. August 2007)
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Daten zum Film
Manhattan USA 1979
(Manhattan)
Regie Woody Allen Drehbuch Woody Allen, Marshall Brickman
Produktion Jack Rollins & Charles H. Joffe Productions
Darsteller Woody Allen, Diane Keaton, Mariel Hemingway, Meryl Streep
Länge 98 min FSK 12
Filmmusik George Gershwin
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