WEGEN ÜBERFÜLLUNG GESCHLOSSEN
„Don`t forget this might be dangerous, so let`s put on our mean faces.“
Nun laufen alle Fäden zusammen: Nach 18 Filmen und pünktlich zum zehnjährigen Jubiläum des
Marvel Cinematic Universe, dem mittlerweile erfolgreichsten Film-Franchise der Welt, kulminieren im 19. Eintrag
„AVENGERS: INFINITY WAR“ die Ereignisse der Vorgängerfilme in einem Klassentreffen der Superlative, das aufgrund der schieren Figurenfülle regelrecht nach einer größtmöglichen Leinwand verlangt. Nur um diese dann im Anschluss formschön zum Zerbersten zu bringen.
Ob nun mit einem kolportierten Budget von 300 oder gar 500 Millionen Dollar im Rücken: Der Krieg gegen Blaumann Thanos (Josh Brolin) und um die Macht der sechs Infinity-Steine ist das wohl gigantischste Kinoerlebnis der letzten Zeit, bei dem ein paar hundert Millionen mehr oder weniger im Grunde so bedeutsam sind wie die Frage, ob der Hulk sich eigentlich auch grün ärgern kann.
„AVENGERS: INFINITY WAR“ ist nach „
The Avengers“ [2012] und „
Avengers: Age of Ultron“ [2015] abermals purer Eskapismus, der bewusst großspurig noch einmal eine ganze Schippe dazulegt und so eindrucksvoll zeigt, was er drauf hat. Einfach, weil er es ka
nn. Und weil es ihm zusteht. Denn nach 10 Jahren der akribischen Vorarbeit und Pflege sollen ja schließlich auch irgendwann einmal die Früchte des enormen Aufwandes geerntet werden, bevor sie vollends schrumpelig werden. Aber das sei bereits vorab verraten: sie sind so knackig wie am ersten Tag und machen richtig, richtig satt.
„AVENGERS: INFINITY WAR“ setzt unmittelbar nach den Ereignissen von „
Thor: Tag der Entscheidung“ [2017] an und wirft den Zuschauer mitten in die Schlacht: Thanos trifft mit der Besatzung seines riesigen Schiffes auf Donnergott Thor (Chris Hemsworth) und dessen Halbbruder Loki (Tom Hiddleston), die mit den Überbleibseln der asgardischen Bevölkerung ihrerseits durchs All fliegen. Und Thanos, der bekanntermaßen immer noch auf der Suche nach den verbliebenen Infinity-Steinen ist, die ihrem Besitzer grenzenlose Macht über das gesamte Universum verleihen würden, beweist auch gleich in diesen ersten Minuten, warum er der mit Abstand gefährlichste Gegner ist, mit dem es unsere Helden jemals zu tun gehabt haben. Der mit einem hünenhaften Aussehen gesegnete und von
Josh Brolin per Motion-Capture-Performance versiert zum Leben erweckte Antagonist ist zu jedem Zeitpunkt hassens- und verachtenswert, erfährt aber durch vereinzelte, geschickt eingestreute Story-Fragmente ein Profil, das schließlich weit über das des bloß großen und bösen Gegners mit Allmachtsphantasien hinausgeht. Auch wenn seine letztliche Motivation für den angestrebten Auslöschungsplan des halben Universums zumindest im Film noch etwas nebulös bleibt, ist Thanos am Ende ein Feind, der den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Liebe und Hass teils schmerzhaft am eigenen Leib erfahren muss(te). In einem der denkwürdigsten Momente des an denkwürdigen Momenten garantiert nicht armen Films konfrontiert er gar einen verwunderten Narzissten Tony Stark (Robert Downey Jr.) mit dieser ihnen dann doch gemeinsamen Tatsache und lässt so die vermutete Kluft zwischen Superheld und Superschurke plötzlich erstaunlich klein werden.
Superhelden und Superschurke stehen sich hier zum womöglich ersten Mal in der langen Geschichte des MCU als ebenbürtige Gegner gegenüber, bei denen nicht einmal der
Infinity Gauntlet als „Handschuh der Macht“ den kleinen, aber feinen Unterschied bildet. Denn dieser ist lediglich das Resultat einer langen Reise durch Untiefen und Abgründe, die bisweilen nicht einmal derjenige wirklich kennt, der sie beheimatet. In der Welt von
„AVENGERS: INFINITY WAR“ hat jeder auf andere Weise mit den lechzenden Dämonen der eigenen Vergangenheit zu hadern, egal ob als Vater, Mutter, Tochter, Sohn, Freund, Baum oder Waschbär. Der Mensch als Individuum wird definiert durch Ecken und Kanten.
Umso verwunderlicher ist es da vermutlich, dass der Film hiervon so gut wie keine nach außen trägt, sondern als großes Gesamtkunstwerk erstaunlich rund daherkommt. Stand zumindest zu befürchten, dass sich die doch recht unterschiedlichen Stile der bisherigen Verfilmungen (man vergleiche etwa nur einen öden „
Captain America: The First Avenger“ [2011] mit den quirlig-bunten Abenteuern der „
Guardians of the Galaxy“ [2014]) nicht zu einem einheitlichen Ganzen würden verschmelzen lassen, falls eines schönen Tages alle Helden aufeinandertreffen sollten, so kann man vor der beachtlichen Drehbuchleistung von
Christopher Markus und
Stephen McFeely nur den Hut ziehen. Sie vollbringen das wahre Kunststück, nicht nur sowohl Grimmigkeit und Humor, Action und ruhige, charakterbezogene Momente unter einem (Film-)Dach zu vereinen, sondern betten auch die Fein- respektive Eigenheiten der tonal so völlig unterschiedlichen Einzel-Franchises erstaunlich passgenau in das von Grund auf dramatische Geschehen ein. Mit der Folge, dass kein einzelner Charakter wirklich hervorsticht, sondern vielmehr die Gruppendymanik der
Avengers selbst bis in die Weiten des Universums und darüber hinaus zu spüren ist. In diesem verheerenden Kampf auf Leben und Tod ist niemand mehr auf sich alleine gestellt.
Allen Charakteren gemein, selbst den vermeintlich starken, ist die kalte Angst, die sie beherrscht: die Angst vor einem Gegner, der ihr Leben mit einem Fingerschnipp beenden könnte, als wären sie lästige Motten im Lichte eines weitaus größeren Plans. Eingestreute komödiantische Spitzen, auch wenn sie hier nicht inflationär bemüht werden, sind somit niemals der Motor, der das Geschehen antreibt, sondern immer ein Ventil angesichts der potentiell tödlichen Bedrohung. Galgenhumor unzähliger Todgeweihter, denen bei zig Milliarden alternativen Möglichkeiten des Kampfausgangs nur eine mickrige verbleibt, die den Sieg für das Gute verheißen würde. Da gerät irgendwann selbst ein unverbesserlicher Optimist an seine Grenzen. Aber Aufgeben stand nie auf unserer Helden Tagesordnung.
So kämpfen sie alle Seite an Seite, neue Freunde, alte Verbündete, und steuern auf ein Ende hin, das vermutlich nur ein Dr. Strange (Benedict Cumberbatch) in diesem überraschenden Ausmaß hat vorhersehen können. Jedenfalls wird mit alten Traditionen gehörig gebrochen, wenn nach unzähligen Einschlägen an der Personalfront plötzlich der Abspann über die Leinwand läuft und den Zuschauer nach 150 Minuten Dauerbedrohung mit einem fiesen Cliffhanger zurücklässt, dem nach dem Abspann (!) noch eine weitere Note hinzugefügt wird. Was haben die Russo-Brüder hier also veranstaltet? Sie feuern eine Actionsalve nach der anderen ab, ohne in Redundanz zu verfallen; sie erzählen eine Geschichte, in der sich die Bedrohung zum ersten Mal wirklich echt anfühlt; sie spielen mit den Erwartungen der Zuschauer und führen diese doch ein ums andere Mal an der Nase herum; und sie vereinen den größten Superhelden-Pool der jüngsten Kinogeschichte zu einem einheitlichen und visuell bombastischen Spektakel, das mit seiner stimmungsvoll-dynamischen Inszenierung schlicht so viel richtig macht, dass der Rezensent verdientermaßen nur die Höchstnote vergeben kann. Auch wenn er nun wirklich, wirklich Angst vor „Avengers 4“ hat. Danke dafür...
Fazit: Was für ein großartiges Spektakel! Eine gigantischere Geburtstagsfeier zum zehnjährigen Jubiläum des MCU hätte es nicht werden können. „AVENGERS: INFINITY WAR“ ist schlichtweg DAS perfekte Heldentreffen, das selbst das ehemalige Großereignis „Civil War“ klein aussehen lässt.
Das bisherige MCU, bei uns ausführlich rezensiert:
„Iron Man“ [2008], „Der unglaubliche Hulk“ [2008], „Iron Man 2“ [2010], „Thor“ [2011], „Captain America: The First Avenger“ [2011], „The Avengers“ [2012], „Iron Man 3“ [2013], „Thor – The Dark Kingdom“ [2013], „Captain America 2: The Return of the First Avenger“ [2014], „Guardians of the Galaxy“ [2014], „Avengers: Age of Ultron“ [2015], „Ant-Man“ [2015], „The First Avenger: Civil War“ [2016], „Doctor Strange“ [2016], „Guardians of the Galaxy Vol. 2“ [2017], „Spider-Man: Homecoming“ [2017], „Thor: Tag der Entscheidung“ [2017], „Black Panther“ [2018]