"You said you were a business man! Is this how you do business?"
Basierend auf einer wahren Geschichte – Eine Floskel, die Filmemacher gerade im Horrorbereich nur zu gerne für einen angeblichen Gegenwartsbezug bemühen, sei der Film auch noch so abstrus. Das Problem: Ohne handfeste Beweise für diese vermeintlichen Fakten bleibt es meistens bei der Floskel (und der Film abstrus). Dass hier häufig Mummenschanz betrieben wird, um noch mehr Interessenten ins Kino zu locken, weiß man allerspätestens seit dem Found-Footage-Schocker "
The Blair Witch Project" [1999], dessen ausgebuffte Marketingstrategie für die Verantwortlichen damals mehr als gewinnträchtig aufging. Was blieb, war einzig ein etwas schaler Beigeschmack.
Einen, den auch das Abenteuer-Drama
"CAPTAIN PHILLIPS" evoziert, allerdings aus gänzlich anderen Gründen. Denn obgleich das Tom Hanks-Vehikel ebenfalls mit obengenannter Phrase wirbt, ist dieses Mal die Wahrheit dahinter verbucht, wurde quasi durch das traumatisierende Ereignis, das der Hauptperson in der Realität wiederfuhr, mit Brief und Siegel versehen. Ein von Menschenhand geschaffenes Martyrium, das den Zuschauer mitreißt, aufwühlt und so manchen Horrorfilm ziemlich alt aussehen lässt. Denn hier hat der gezeigte Horror reale Wurzeln. Ein Kapitän. Sein Boot. Ein Schicksal. Und alles pr
äsentiert in einem unglaublich packenden Film:
Vor der Ostküste Somalias wird das US-amerikanische Container-Frachtschiff
MV Maersk Alabama von Piraten gekapert. Geistesgegenwärtig bietet sich dessen Kapitän Richard Phillips (Tom Hanks) den Piraten als Geisel an, in der Hoffnung, die Besatzung des Schiffs so vor Schlimmerem bewahren zu können. Der Anführer der Piraten, ein Mann namens Muse (Barkhad Abdi), nimmt dieses Angebot an und wird im Folgenden nicht müde, seine Tat mit den Auswirkungen der weltweiten Globalisierung zu rechtfertigen. Allzu schnell spitzt sich die Lage zwischen Phillips und seinen Entführern gefährlich zu, während im Hintergrund alle nötigen Vorbereitungen für eine Rettungsaktion getroffen werden. Doch wird diese noch rechtzeitig erfolgen, um das Leben des so selbstlosen Kapitäns zu retten?
Minutiös-akribisch aufgearbeitete Schicksale, große Tragödien, menschliche Dramen: Die diesbezüglich vorhandene Palette an filmischem Output ist in der Traumfabrik Hollywood wahrlich endlos. So ist ein weiterer Film, der unter dem Label der wahren Geschichte firmiert, vielleicht nicht unbedingt das Spannendste, was es zu berichten gibt. Doch in diesem Fall ist es, sehr zur Freude des jeweiligen Rezipienten, anders: Ohne auf die Schiene des gerne und allzu oft bemühten Betroffenheitszuges aufzuspringen, nahm sich
Bourne-Regisseur
Paul Greengrass des schweren Stoffes an, um ihn als authentisches Action-Drama im Stile eines Kammerspiels auf hoher See zu inszenieren. Begrenzt allein durch die Vorstellungen zweier Individuen und ihre unterschiedlichen Ansichten zur Welt, zusammengepfercht auf engstem Raum in einem spannenden Psychoduell, welches zum einen mittels eines gnadenlos hämmernden Film-Scores (der gegen Ende jedoch ungeniert Hans Zimmers
Time aus "
Inception" [2010] kopiert), zum anderen durch Greengrass` markantes Markenzeichen – die fiebrige, zunehmend atemloser werdende Inszenierung – umso nervenzerfetzender daherkommt.
Mittendrin ein gealterter
Tom Hanks ("
Schlaflos in Seattle" [1993]), der als besagter Kapitän Phillips eine Reise antritt, die ihn für immer verändern soll. Mit Bart, grauen Schläfen und einer anfangs eher zurückgenommenen Art gibt Hanks den bodenständigen Mann der Verantwortung, und doch zeichnen sich erkennbar leichte Zweifel im Gesicht des Mannes ab. Loyal gegenüber den Basatzungsmitgliedern zu sein, wenn im selben Moment die Verantwortung gegenüber seiner Familie während der Zeit auf hoher See auf eine harte Probe gestellt wird, erfordert durchaus ein recht dickes Fell. Nicht jeder ist dieser Aufgabe gewachsen. Und so wird Regisseur Paul Greengrass auch nicht müde, mehrmals im Film mit dem Holzhammer auf diesen Aspekt hinzuweisen. Die ruhige Fahrt mit seiner Frau zum Flughafen am Anfang, in der die Anspannung förmlich zu spüren ist, ein verstohlener Blick auf Familienfotos hier, eine liebevolle Email an seine Familie dort: Dass Phillips ein Familienmensch ist, weiß der geneigte Zuschauer eigentlich bereits nach wenigen Minuten und wird doch noch mehrere Male bei der Hand genommen, so als wäre er alleine hilflos überfordert in seiner eigenen Entscheidungsgewalt. Ein Umstand, der anfangs ein wenig störend erscheint, jedoch bereits mit dem Eintreffen der somalischen Piraten verschwindet.
Fortan regiert der pure Überlebenskampf. Mann gegen Mann, mitten auf hoher See. Die zweifellos vorhandene Möglichkeit zur üblichen Schwarzweißmalerei wird dabei durch Greengrass` weisen Entschluss, beide Seiten der Medaille mit dem ihnen gebührenden Respekt zu behandeln, angenehm konterkariert. So beleuchtet er zusammen mit seinem Drehbuchautor
Billy Ray ("
Earth 2" [1994-95]) nicht nur Kapitän Phillips` Wandlung vom treusorgenden Familienmenschen zur aufopferungsvollen Geisel, die zunächst ohne viel nachzudenken die Möglichkeit des Todes akzeptiert, nur um in dessen Angesicht völlig zusammenzubrechen (selten war Tom Hanks besser!). Auch die Geiselnehmer, die allesamt von erschreckend überzeugenden Laiendarstellern verkörpert werden, erhalten ein Gesicht hinter der hässlichen Fratze der Piraterei und werden als Menschen gezeigt, die als nur kleiner Teil eines unüberschaubar großen Systems zu diesen Taten gezwungen werden.
Greengrass verzichtet hier erfreulicherweise auf einen parteiergreifenden Kommentar die fortschreitende Globalisierung betreffend und konzentriert sich lieber voll und ganz auf seine Charaktersierung von Menschen in Extremsituationen. Ganz gleich, ob sie nun auf der einen oder der anderen Seite von Gut und Böse stehen. Dies sind im hochspannenden Action-Drama
"CAPTAIN PHILLIPS" sowieso nur zwei einzelne Adjektive unter vielen, deren Grenzen angesichts drohender Gefahr merklich verschwimmen. Und ob einem der Ausgang der Geschehnisse nun bekannt sein sollte oder nicht, spielt hier ebenfalls keine bedeutende Rolle, da eines nur allzu offenkundig ist: Sieger hat dieses Ereignis keine hervorgebracht. Helden vielleicht, ja. Menschen, die selbstlos ihr Leben aufs Spiel setzten, um das der anderen zu retten. Doch glorreiche, stolze Individuen, welche sich mit ihrer Tat brüsten und sich an der ihnen anheimfallenden Anerkennung durch die Gesellschaft laben, sucht man hier vergebens. Denn in dieser Welt, zu dieser Zeit und unter jenen besonderen Umständen kann es eigentlich nur Verlierer geben. Was verbleibt, sind hässliche, innerliche Narben der Zeit, die sich als stille Zeugen eines schier unvorstellbaren Mutes tarnen. Und die nach wie vor bestehende Hoffnung, dass sie irgendwann mal gänzlich verheilen mögen.
Fazit: Intensiv, dramatisch und glänzend gespielt:
"CAPTAIN PHILLIPS" nimmt den Zuschauer mit auf eine
tour de force, in der ein entfesselter Tom Hanks die beste Leistung seit langer Zeit abliefert. Ausgezeichnetes, oscarreifes Spannungskino!
Cover & Szenenbilder: © 2013 Sony Pictures Releasing GmbH